Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Diebach / Vagen

Diebach Forellenhof

Montag, 20. / Dienstag 21.6.2022 

Vor uns liegen heute gute 1000 Kilometer bis nach Hause. Die, so sind wir uns einig, werden wir nicht an einem Stück runterreißen; eine Übernachtung planen wir ein.

Grundsätzlich bieten sich drei Routen an. Die direkteste verläuft quer durch Frankreich (Reims, Metz, Straßburg, Karlsruhe), das sind knapp über tausend Kilometer, die aber mehr Maut kosten als uns unser Wechselwichtel bisher beim Strom einsparen konnte. Dafür gibt es keinen Anlass. Eine Alternative verläuft über Belgien und Köln, das sind vielleicht 50 Kilometer mehr, aber ohne Maut. Und die dritte Variante, etwa gleich weit wie die zweite, führt uns durch Luxemburg und das Saarland.  

Diese Strecke haben wir bisher ins Auge gefasst, weil wir von früheren Fahrten wissen, dass man in Luxemburg außerordentlich billig tanken kann, was heutzutage nicht uninteressant ist. Und außerdem kennen wir im saarländischen Bexbach einen sehr netten kommunalen Stellplatz, den wir für die nächste Nacht ins Auge fassen. Doch die finale Beschlussfassung heute Morgen macht uns ein wenig fassungslos: In Luxemburg ist der Sprit teurer als in Deutschland! Damit hat sich diese Route erledigt und die Kölner Strecke ist die erste Wahl, weil wir auf ihr die seit Jahren unverbesserliche Verkehrshölle rund um Karlsruhe vermeiden. Und dann, so beschließen wir, verbringen wir die Nacht auf Kallis Forellenhof in Diebach. Beschlossen und verkündet.  

Um 7 Uhr bekommen die Mädels einen langen und letzten Strand-spaziergang, damit sie den Fahrtag auch ohne Murren über sich ergehen lassen. Anschließend widmen wir uns mit Genuss dem ofenwarmen Baguette und den Schokorollen. Wenn die Franzosen schon nicht so freundlich sein wollen wie die Insulaner, muss man ihnen zugestehen, dass sie dafür viel Herzenswärme in ihre Backwaren investieren. Vielleicht fehlen ihnen ja danach die nötigen Ressourcen?  

Um 9:50 Uhr fahren wir bei windigen und weiß-blauen 14 °C los. Allerdings nicht weit, weil die Reiseleiterin vermutlich eher zu Fuß nach Hause gehen würde, als dass sie keinen Besuch bei Carrefour in Coquelles genehmigt bekäme. Frankreich ohne Carrefour ist wie München ohne Viktualienmarkt. Um 10:10 Uhr sind wir dort und verlassen das Einkaufsparadies um 10:50 Uhr wieder mit einem Wagen voll Haar- und Körperpflege aus dem Hause Le Petit Marseillais. Der kleine Rest ist belangloser Beifang. 

Und wenn wir schon hier sind, machen wir bei Carrefour auch gleich noch den Franzentank voll, weil jeder weiß, dass man in Frankreich nirgendwo billiger tanken kann als an den Supermarkt-Tankstellen. Diese Billigfüllung kostet uns heute 2,12.9 €! Bei 33 Liter summiert sich das auf 70 €. Wenn das die billigste Tankvariante ist, dann ist es ein Segen, dass wir bald zuhause sind.  

Um 11 Uhr geht es endlich los. Um 12:30 Uhr grüßen wir unsere Teilzeitheimat Belgien und um 15:15 Uhr sind wir wieder in Deutschland. Der Verkehr läuft, abgesehen von drei kleinen Baustellenstaus, durchgängig geschmeidig. Und irgendwann liefert uns Franz seine ganz persönliche Tourenschnapszahl: 77.777 km.  

Um 20 Uhr sind wir in Diebach bei Hammelburg und beschließen den heutigen Tag auf Kallis Stellplatz Forellenhof [N 50° 08' 02,8'' E 009° 49' 04,2'']. Der Himmel ist barischblau bei 16 °C.  

Schon seit vielen Jahren kommen wir zu Kallis Forellenhof, wenn wir in der Gegend sind. Früher war er der ideale Abstieg, wenn wir auf dem Hundeplatz im nahen Völkersleier waren, und dann eben, wie heute, wenn immer sich eine Reiseroute sinnvoll hier unterbrechen lässt. Diebach liegt an der herrlichen Fränkischen Saale und der Forellenhof auf einer Anhöhe darüber, mitten zwischen den uralten Kegeln der Rhön. Und wie heißt es sehr richtig? Die Rhön ist schön.  

Kalli ist ein echter Selfmade-Mann und Dauerschaffer. Als wir den Forellenhof kennenlernten, gab es einige Stellplätze, die man ohne Anmeldung belegen konnte. Irgendwann kam Kalli, man erledigte das Geschäftliche und durfte sich uneingeschränkt wohlfühlen. Inzwischen hat Kalli kräftig erweitert, drei Terrassen übereinander gelegt und gepflegte Sanitäranlagen errichtet. Das Herz der Anlage ist ein SB-Restaurant mit Biergarten (Mittwoch – Sonntag), in dem er fränkische Spezialitäten anbietet und Kalli noch immer eigenhändig seine Pizzen im Holzofen zaubert. Der Streichelzoo mit Alpakas, Strauße, Hängebauchschwein etc. ist verschwunden, weil einige Gäste offenbar keine Ahnung vom Umgang mit Tieren haben, was beispielsweise dazu führte, dass Kalli nicht einmal mehr selbst zu seinen Straußen konnte, weil er von ihnen attackiert wurde. Ein weiteres trauriges Beispiel, wie wir uns dauernd selbst im Weg stehen und Regel und Verbote provozieren. Aus einem ähnlichen Grund wird man heute an der Einfahrt aufgefordert, sich an der Rezeption anzumelden, weil kein Stellplatzbetreiber damit und davon leben kann, dass Wohnmobilisten mal schnell vorbeischauen, 200 Liter Wasser bunkern und wieder abhauen. Im Internet verbreiten sich solche Option rasend schnell.  

Wir müssen uns heute nicht anmelden, weil Kalli sich schon zurückgezogen hat. Aber wir tragen unsere Frühstückswünsche in einer Kladde an der Rezeption ein und dürfen uns morgen auf frische fränkische Semmeln und Brezen freuen, die natürlich Kalli auch selber besorgt. Wir lassen die Mädels raus und beschließen den Abend mit Baguette, Rillette, Pastete und Käse aus Frankreich.  

Der Himmel sinkt violett über die Rhön. Irgendwo klagt ein Käuzchen und im Osten macht sich der Sommer schon fein für seinen Auftritt.  



Dienstagmorgen um 9 Uhr: 14 °C und ein ultrablauer Frankenhimmel. Das ist ein guter Start für den Sommeranfang und unser Ferienende.  

Doch zuallererst steht die herzliche Begrüßung Kallis und umgekehrt auf dem Programm. Unser Frühstücksgebäck liegt bereit, und Kalli freut sich aufrichtig, weil wir tatsächlich schon länger nicht mehr hier waren. Und, ja, wir liegen uns in den Armen. Alte Liebe rostet eben nicht. Nur als er erfährt, woher wir kommen und was wir in den vergangenen Monaten getrieben haben, wird er nachdenklich und, wie er eingesteht, etwas neidisch. Aber sein Betrieb hier lässt ein solche Auszeit nicht zu. Er ist gefordert, er wird gebraucht und er braucht sich auch selber, weil ein ganzes Leben in dieser Art von Selbständigkeit keine üppige Alterssicherung abwirft, schon gar nicht, wenn man nicht in die Rentenkasse einbezahlt. Und er gesteht, dass nicht alles, was einen glücklich macht, uneingeschränktes Glück bedeutet. Wir bezahlen unsere Schulden und versprechen, diesmal nicht so lange verstreichen zu lassen, bis wir wieder vorbeischauen.  

An dieser Stelle erlauben wir uns auch, allen, die mit dem Womo in der Gegend unterwegs sind, Kallis Forellenhof ans Herz zu legen (https://www.ausblick-forellenhof.de). Abgesehen vom liebenswerten Stellplatz, bieten die Rhön und die Fränkische Saale eine Vielzahl von Freizeitmöglichkeiten, die Langeweile ausschließen.  

Kurz vor 11 Uhr verbschieden wir uns von Kalli bei 19 °C und einem weiterhin unverschämt blauen Himmel. Gleich in Hammelburg füllen wir den Franz bis zum Überlauf, heute für schlanke 2,03.9 €, was bei 76 Litern immer noch 155 €, aber dennoch rund 70 € weniger bedeuten als gestern in Escalles.  

Unerwartet und ungewöhnlich ruhig, mit nur wenigen Verzögerungen, läuft der Verkehr von Unterfranken nach Oberbayern. Wir lassen uns Zeit und genießen noch einmal unseren letzten Reisetag.  

Um 16:15 Uhr stellen wir den Franz vor unserem Haus ab und beschließen unsere Fahrt ins Blaue. Und ab sofort ist der Bairische Blues wieder mal da. 25 °C und eine strahlende Begrüßung lassen keine Wehmut aufkommen, nur Freude, Glück und Dankbarkeit.  

Ein Wort zum Schluss
Escalle