Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Ein Wort zum Schluss

Wir

Eine Freundin fragte einmal während unserer Reise: „Kann man neidisch sein, ohne neidig zu sein?" Was für ein herzöffnender Satz! Selbstverständlich kann man das, man darf das sogar. Aber wäre es nicht grundsätzlich besser, den Neid anderen zu überlassen und selbst auf die Reise zu gehen? Einfach einmal das Hamsterrad verlassen, nicht für immer und ewig, nur für ein paar Wochen. Oder eben für ein halbes Jahr?  

Fast jede(r) kann das. Sicher nicht in den „Gründerjahren", aber wenn die Dinge geregelt und die Kinder versorgt sind, lässt sich das für die meisten von uns einrichten. Jedenfalls könnten sich viel mehr Zeitgenossen für einige Wochen oder Monate aus dem Alltag ausklinken als es sich vorstellen können. Geld und Karriere ist nicht alles und die immer fordernde Familie kommt auch mal für überschaubare Zeit selbst zurecht. 

Kurt Tucholsky sagte einmal: „Reisen kann jeder. Worauf es vor allem ankommt, ist das Loslassen, denn das müssen wir alle ohnehin irgendwann einmal. Und alles andere ergibt sich von allein. Lass das Steuer los. Trudele durch die Welt. Sie ist so schön. Gib dich ihr hin und sie wird sich dir geben."  

Tatsächlich haben wir schon zu viele Freunde und Bekannte gehen sehen, die loslassen mussten, bevor sie es wollten, die zu früh auf ihre letzte Reise gegangen sind und deshalb jene, die sie im Ruhestand machen wollten, nicht mehr antreten konnten. Für sie alle ist es so schade. Das Leben spielt Roulette und lässt sich nicht planen wie den nächsten Karriereschritt.  

Der Chronist hat es immerhin bis in den Ruhestand geschafft, um sich diese Auszeit nehmen und genießen zu können. Der Reiseleiterin bleiben im schlimmsten Fall noch zehn Jahre bis zum Ruhestand, ein Zeitraum, den nur der Hochmut zur Planung freigibt. Und wie lange würde unsere 10-jährige Fianna noch fit genug sein für eine halbjährige Reise im Wohnmobil? Jetzt war die richtige Zeit! Worauf hätten wir noch warten sollen? 

Es ist nie zu früh, aber nur sehr selten zu spät, seinen Horizont zu erweitern, die eigenen Gewissheiten mit Neuem und Unerwartetem zu konfrontieren, das Gehirn in Bewegung zu bringen und das Herz zu weiten.  

Die großen Philosophen weisen sich dadurch aus, dass sie die Welt erdenken und ihr innerstes Wesen spüren können, ohne sie selbst in Augenschein nehmen zu müssen. Immanuel Kant ist nie gereist, hat seine Heimatstadt Königsberg praktisch nie verlassen, aber er wusste dennoch, dass das Reisen sehr bildet: „Es entwöhnt von allen Vorurteilen des Volkes, des Glaubens, der Familie, der Erziehung. Es gibt den humanen duldsamen Sinn, den allgemeinen Charakter." 

Sein zeitgenössischer Kollege Christian Schüle präzisiert diese Sätze folgendermaßen: „Wir erfahren uns in einer neuen Identität, indem wir uns dem Fremden gegenüber verhalten müssen und auch unser eigenes Anderssein bewältigen. Wer vom Fremden und Unbekannten nichts weiß, der weiß nichts über sich." 

Wir haben viel gelernt auf dieser Reise. Auch über uns. Es war nicht vorrangig die Naivität einiger Engländer, die sich nun über die für sie negativen Folgen des Brexit beklagen und sich damit herausreden, über diese Folgen nie informiert worden zu sein („Nobody knew about that when we voted"). Viel aufschlussreicher war für uns ein Gespräch in einem Info-Centre im Dartmoor, wo sich die Angestellte tatsächlich von Herzen über unsere Anwesenheit freute, weil kaum jemand noch hierher käme, keine Franzosen, keine Belgier, noch nicht einmal mehr die allgegenwärtigen Holländer. Und sie fuhr fort: „Schön, dass ihr aus Deutschland wieder zu uns kommt, wir haben euch vermisst." Als wir gerade im Begriff waren, uns über ihre Zuneigung zu freuen, lieferte sie uns ihre Analyse für die britische Einsamkeit: „Europa hat uns ja nicht mehr gewollt und sperrt uns nun aus." Nie ist uns die Bedeutung des Reisens für das eigene Urteilsvermögen nachdrücklicher vor Augen geführt worden.

In einer Zeit, in der wir unser Wissen oder das, was wir dafür halten, aus scripted reality beziehen, von konstruierten und virtuellen Realitäten, von Bots, Algorithmen und deep fakes, sind wir den Manipulationsmöglichkeiten oft genug nahezu hilflos ausgeliefert. Wir leben in Blasen und Echoräumen und haben kein Wissen mehr, sondern, wie es Christian Schüle formuliert, „nur noch ganz große Formen von Informationen. Wissen ist etwas anderes. Da spielen Kontexte eine Rolle, da spielt Entwicklung eine Rolle. Wissen ist das […] Zusammensetzen von Komponenten." Wissen bedeutet demnach nicht, Informationen zu konsumieren, sondern ihnen auf den Grund zu gehen. Am besten vor Ort. Dort erlebt man keine reality, sondern die Realität. „Wer reist," so fasst Schüle zusammen, „reist in die Welt und hat die Weltanschauung nicht nötig, sondern er sieht die Welt wirklich. Wer die Welt wirklich anschaut, braucht keine Weltanschauung."  

Und was man noch weniger braucht, dafür auf Reisen umso zuverlässiger verliert, sind Vorurteile. Das gilt natürlich nur für das vagabundierende, zielfreie Reisen, nicht für den Ghetto-Urlaub unter seinesgleichen. Zum Glück mussten wir uns von nicht allzu vielen Vorurteilen befreien, weil wir schon zu oft in der Welt und Europa unterwegs waren, um uns diesen heimatklebrigen Schimmel anzueignen. Aber wer darf schon für sich behaupten, keine zu haben?  

Keine Frage, die Spanier sind stolz und ein selbstverliebtes Volk, aber breitbeinigen, testikelgeschwellten Machos sind wir nirgendwo begegnet. Natürlich gibt es sie, wie überall, aber eben nicht genug, um sie um Nationalsymbol zu erheben. Und die Spanierinnen gehen nicht mit Kastagnetten klappernd in den Supermarkt, sondern mit Gitterwagen und Einkaufszettel. Portugiesen haben heute nichts mehr mit den körperlich zerrütteten Wracks gemeinsam, die vor 50 und 60 Jahren zu uns nach Deutschland gekommen sind und deren Gebiss aus mehr Kiefer als Zähnen bestand. Im Gegenteil! Und nirgendwo in Südeuropa sind wir mehr Menschen begegnet, die ein so gereiftes Englisch sprechen wie in Portugal.  

Schwieriger wird die Einordnung Englands ins Vorurteils-Raster. Ohne Einschränkung gilt weiterhin: Die Engländer sind freundlich, höflich und im persönlichen Umgang meist auch überaus herzlich. Ein freundliches und interessiertes Gespräch, wo immer man auf einen Engländer trifft, gehört zum Wohlfühl-Alltag. Helens Freude (Camping Ship & Anchor bei Arundel) über uns Deutsche als lange vermissten Besuch auf ihrem Campingplatz war ehrlich und herzlich, ohne Versuch, uns als Heilpflaster für die vereinsamte englische Seele zu instrumentalisieren. Unangebracht fanden wir auch den immer noch gepflegten Langweilermythos über schlechtes englisches Essen. Wir haben köstlich gegessen, und das waren keine Ausnahmen. Dass die englische Küche anderen Grundregeln folgt als die deutsche oder die bayerische, ist kein Grund, sie zu meiden, eher Grund, sie ausgiebig zu ergründen. Schnell wird man bestätigt finden, dass auch in diesem Fall tiefe Wasser tiefen Grund haben. Nur für die ungewürzten Erbsen haben wir bis zum Schluss keine Begründung gefunden. Aber dass Menschen, die sich überwiegend von Schnitzel mit Pommes, Döner, Leberkässemmeln und Currywurst ernähren, Befremdliches an Fish & Chips finden, sagt weniger über die meist grandiosen Fish & Chips aus als über die Klageführer. Man bleibt eben im eigenen Suppentopf stecken, wenn man nicht auf Reisen geht, das gilt sogar für die Geschmacksknospen.  

Die Tatsache, dass die Engländer eher weniger auf Reisen gehen, es sei denn in die neuzeitlichen Kolonien in Südspanien, schlägt sich folgerichtig in der verbreiten englischen Sicht auf die Welt nieder. England ist nach wie vor die Nabe der Welt, um die sich alles dreht. England beherrscht weiterhin den Erdkreis und trotzt ihm, falls es notwendig werden sollte, auch ganz allein. Europa beginnt jenseits des Kanals und England ist das Galapagos der Nordhalbkugel voller schützenswerter Urviecher, an denen die Evolution vorübergegangen ist. Dem wäre sogar der Engländer Charles Darwin machtlos gegenüber gestanden.  

Die Wirklichkeit stellt sich anders dar. Die Engländer bestehen nicht nur gegen die Anmaßungen einer globalisierten Welt nicht, sondern kämpfen wie Don Quixote reichlich erfolglos gegen die von ihnen selbst errichteten Windmühlen. 350 Millionen Pfund an Zahlungen für die EU wollten die Befürworter des Brexit wöchentlich im Land behalten, was sich im Jahr auf stolze 18,2 Milliarden summiert hätte. Die, so tönte das vollmundige Versprechen, wolle man in den National Health Service (NHS) investieren. Von diesem Versprechen haben sich sogar Hardliner wie Nigel Farage direkt nach der Abstimmung distanziert, sind damit sozusagen auf Distanz zu sich selbst gegangen. Tatsächlich haben die Briten nach Abzug des Britenrabatts und aller EU-Subventionen nur 170 Millionen Pfund wöchentlich an Brüssel überwiesen. Hätten diese Rechnung und die Versprechungen jemals Gültigkeit gehabt und wäre das Geld tatsächlich in den NHS geflossen, wäre er heute nicht in jenem jämmerlichen Zustand, der zurecht traurige Schlagzeilen hervorbringt. Der schaurige Zustand des öffentlichen Gesundheitssystems in GB bleibt keinem Reisenden verborgen. Der Chronist hegt in diesem Zusammenhang den Verdacht, dass die einbehaltenen Milliarden eher in den Kauf von Luxusautos wie Rolls Royce und Bentley geflossen sind, die ihm auf den hautengen Straßen sehr zu schaffen machten, weil sie keinen Millimeter zur Seite rückten, um sich keine Schramme einzuhandeln. In dieser Hinsicht sind die Engländer den Deutschen ziemlich ähnlich, denen die Schramme im Lack auch mehr Schmerzen bereitet, als wenn im internationalen Ansehen gleich der ganze Lack ab ist.  

Wir müssen zugeben, dass wir uns schwer tun mit einer fairen Einordnung der Engländer. Wir haben viele liebenswerte kennengelernt, vor allem auch solche, die stolz auf ihr Land waren und es aufrichtig lieben, das aber nicht mit Nationalchauvinismus und Imperialismus gleichsetzen. Es gab kaum einen Engländer, der uns nicht seinen Geburts- oder Wohnort ans Herz gelegt hätte, den wir unbedingt besuchen müssten. Alle Ziele konnten wir nicht überprüfen, aber auf einen Reiseführer hätten wir getrost verzichten können; die Ziele wären uns nie ausgegangen. Als Nation im Teich der anderen Nationen sind sie uns fremd geblieben. Bezüglich des Brexits haben wir eigentlich nur zwei typische Vertreter angetroffen: Diejenigen, die ihn immer ablehnten, heute stinksauer sind und ihr Volk nicht mehr verstehen und jene, die immer dafür waren, sich keiner Schuld bewusst sind und nichts von den Folgen gewusst haben wollen. Solche, die inzwischen einsehen, dass sie wahrscheinlich Mist gebaut haben, haben wir nicht getroffen. Vermutlich gibt es sie nicht: Das Land ist tief und unversöhnlich gespalten. Das hat es mit seinem überseeischen Ableger gemeinsam.  

Trotz alledem: Wir werden England wieder besuchen; es ist zu schön und die Menschen sind zu liebenswert, um sich abzuwenden oder sich darüber zu erheben. „Grenzen lehren Demut, vor den Menschen, der Welt, vor der Natur", formulierte Hegel. Mit dieser Demut kommt man gut durch die Welt und kann sie genießen.  

Und was bleibt von Irland? 1970 machte eine frühe Liebe den Chronisten mit der irischen Musik bekannt. Damals ist die Liebe zu Irland und den Iren entflammt und seither nie wieder erloschen. Die andere schon bald. Alle Musikgenres, denen er sich in den Folgejahren zuwandte, hatten ständig gegen die keltische Musik anzukämpfen, und schließlich setzte sie sich doch immer wieder durch. Es war wie mit dem berühmten Satz von Gary Lineker über das Wesen des Fußballs: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen immer die Deutschen". 50 Jahre surfte der Chronist auf den Wellen aller denk- und hörbaren Genres – Beat und Blues, Jazz und Swing, Rock und Pop, Country, Grunge und Punk und Metal –, aber die irischen Tunes poppten immer wieder wie ein Korken an die Oberfläche. Und trotzdem musste er 70 Jahre werden, um sich in die Arme seiner getreuen alten Liebe werfen zu dürfen. Und wie sie ihn ans Herz drückte – und die Reiseleiterin gleich mit erdrückte!  

Vieles, was wir über die Engländer sagten, gilt selbstverständlich auch für die Iren: freundlich, herzlich, zugewandt, aufgeschlossen. Noch mehr als mit den Engländern, kann man aber ein längeres Geplauder in Irland kaum vermeiden, und das soll schon etwas bedeuten. Der Kopf ist immer oben und die Augen nehmen bei allen Begegnungen sofort Kontakt auf, und dann bleibt es nicht bei einem kurzen und fröhlichen Gruß, sondern es folgt unweigerlich eine Bemerkung übers Wetter oder eine Frage, woher man käme und wohin man wolle. Besonders beliebt war in unserem Fall ein Begeisterungsseufzer über die lovely dogs. Und so bleibt man stehen und ratscht und tratscht und plaudert.  

Ein entscheidender Unterschied zu den Engländern ist die irische Sicht auf die Welt im Allgemeinen und Europa im Besonderen. Dass in dieser Hinsicht die Engländer nicht gut wegkommen, ist weithin bekannt. Zugrunde liegt aber nicht in erster Linie der für die Iren verstörende und angstbesetzte Brexit, sondern der Jahrhunderte alte Konflikt mit den Engländern, der in den irischen Seelen weiter schwelt. Nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 hatten sich viele alte Ressentiments beruhigt, aber nach dem Brexit sind sie wieder da, und auch die zunehmende Angst vor einem neuen heißen Konflikt. Wenn in den Pubs die bekannten Gassenhauer angestimmt werden, Hohn und Spott über die Engländern ausgeschüttet werden, dann stimmen alle ein, die Jungen Arm in Arm mit den Alten: A nation once again, a nation once again, and Ireland long a province, be a nation once again! Wie sehr sie ihren Okkupatoren alles und sogar die Pest an den Hals wünschen, haben wir in einem launigen Gespräch über den Brexit erlebt. Da hätten die Blödmänner, so erfahren wir, doch tatsächlich geglaubt, dass sie mit dem Brexit all die Ausländer, vor allem die Afrikaner und Inder, loswürden. Und weißt du was? Jetzt müssen sie sich am Flughafen ausgerechnet mit denen in einer Reihe anstellen, aber wir Iren stehen in der Europe line 🤣. Kaum zu glauben, wie breit ein irisches Grinsen sein kann.  

Was bleibt sonst noch von Irland? Das Essen, das sich nicht wesentlich vom englischen unterscheidet und genauso viele übergewichtige und fette Leute hervorbringt wie dort. Ein großer Teil der Supermärkte wird von Gefrierschränken mit Fertiggerichten beherrscht, was dann auch eine Erklärung für die adipöse Sonderstellung in Europa liefert. Es darf schon gerne richtig deftig sein, folgerichtig gibt es in Irland keine Clotted Cream, was in irischen Augen eher so etwas wie Magerjoghurt ist; in Irland kommt Double Cream auf die Scones. Wir haben dem irischen Essen mit dicken Backen gerne zugesprochen und es auch nicht an flüssiger Begleitung fehlen lassen. Wir sind eingetaucht ins irische Lebensgefühl, haben gemampft und getrunken wie die Iren, nur nicht ganz so viel gesoffen wie diese. Solche Alkoholmengen sind für außerirische Körper nicht zu verarbeiten, also sollte man sich nicht überheben, wenn man überleben möchte. 

Über die irischen Landschaften haben wir uns in diesem Blog seitenweise begeistert ausgelassen, eine weitere Würdigung dürfen wir uns demnach verkneifen. Neben ihnen sind es jedoch die Menschen, die einen überaus tiefen Eindruck in uns hinterlassen haben, einen so tiefen, dass für den Chronisten allein die Begegnungen mit Malachy Kearns in Roundstone das Herzstück unserer ganzen Reise wurden: ein bescheidener und liebenswürdiger Trommler für die irische Seele. 

Gerade diese menschliche Offenheit war es, die uns nach unserem Rücksturz auf den Kontinent in den geschilderten Kulturschock stürzten. Mit einem solchen heiß-kalt Wechselbad kommen vermutlich nur die Sauna gestählten Finnen ohne bleibenden Schaden zurecht. 

Fast noch wichtiger, als mit solchen von außen gesteuerten Einflüssen klarzukommen, war das Innenverhältnis der vierköpfigen und zwölfbeinigen Reisegruppe. Wir sind häufig und immer wieder gefragt worden, ob wir keine Angst vor der monatelangen Enge hätten und hatten. Angst hatten wir keine, aber Thema unserer Überlegungen war das selbstverständlich.

Das Reisen, so haben wir aus einigen Zitaten vom Beginn dieser Betrachtungen erfahren, ist ein Katalysator für den persönlichen Reifungsprozess. Man setzt sich Situationen aus, in denen man sich bislang nicht kennt. In diesen Situationen muss man sich bewähren, auch um sich besser kennenzulernen: Wer bist du eigentlich? Wie verhältst du dich in einer unplanbaren und unbekannten Situation? Das lässt uns im Leben reifen (und dafür sollte es auch im fortgeschrittenen Alter noch nicht zu spät sein). So kann man von einer Person zur Persönlichkeit werden. Wahrscheinlich kann man anschließend die Frage, wer man eigentlich ist, immer noch nicht beantworten, aber man ist durch das Reisen vermutlich mehr geworden als man vorher war, man hat einen Upgrade erfahren.  

Für uns bedeutete das konkret: Wir haben zu keiner Zeit Heimweh empfunden und deswegen abgebrochen. Wir haben auch nicht abgebrochen, als das Wetter und der Wind uns diesem Gedanken sehr nahe gebracht hatten. Wir sind uns nicht auf die Nerven gefallen, auch dann nicht, wenn diese gelegentlich gereizt waren. Wir sind in der Enge, gegen jede Erwartung, noch näher zusammengerückt. Die erwartbaren Rempeleien in einem rollenden Wohnklo waren schon nach wenigen Minuten wieder Geschichte. Wir sind uns nähergekommen und haben uns ausgehalten und ertragen.

Wir haben diese Fahrt genossen und möchten im Rückblick keinen Tag davon missen. Wir haben nach unserer Einschätzung alles richtig gemacht, und nur die zählt. Wir haben uns gefordert und ausgelotet. An unsere individuellen Grenzen sind wir dennoch nicht gestoßen und haben sie noch immer nicht kennengelernt, was uns allerdings schon Heraklit prophezeite: „Die Grenzen der Seele wirst du nicht finden, auch wenn du alle Wege durchwanderst. So tiefen Grund hat sie."  

Allen, die auf der Suche nach sich und ihrer Seele sind, geben wir den Rat, den wir schon eingangs formulierten: Macht euch auf den Weg!  

Für Menschen, die schon Heimweh bekommen, wenn sie zur Taufe eines Enkelkinds ein Wochenende mehr als 50 Kilometer jenseits ihrer vertrauten Parzelle verbringen müssen, ist eine solche Fahrt sicher nichts. Aber für alle, die sich draußen in der Welt wohl und zuhause fühlen, für alle, die neugierig geblieben und überzeugt sind, dass es hinter der eigenen Gartenhecke noch viel Begeisterndes und Bezauberndes zu entdecken gibt, gilt unser ernst gemeinter Tipp: Macht euch auf den Weg und ergründet selbst, ob Goethe recht hatte, als er in seinem Wilhelm Meister formulierte: „Genieße das Leben auf der Reise und ziehe hin, wo du es vergnüglich und nützlich findest, denn die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen". 

In diesem Sinne danken wir allen, die uns auf unserer Reise begleiteten, die mitfuhren, sich mit uns freuten und unsere Begeisterung teilten. Ihr wart ein wichtiger Teil unserer Fahrt ins Blaue und hattet einen großen Anteil an unserer Reiselust, denn: Geteilte Freude ist doppelte Freude! 

Routen und Ruheplätze
Diebach / Vagen