Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Bracieux

Wiedersehen der Drei Freunde

Montag, 11.4.2022

Es ist noch recht frisch, als wir aus den Betten steigen: 6 °C und bedeckt. Aber das bleibt nicht das Tagesprogramm; es wird immer schöner und einladender für einen Tag, auf den wir uns seit gestern so gefreut haben. Als sich dann auch noch eine neue Empfangsdame um unser Wohlergehen kümmert, deren Hilfe wir auch gleich in Anspruch nehmen, kann diesen Tag nicht mehr viel verderben.  

Der Grund für die Inanspruchnahme der Camping-Rezeptionistin liegt daran, dass wir unsere Mädels vor Betreten der Britischen Inseln offiziell von einem Tierarzt entwurmen und dies im Impfpass dokumentieren lassen müssen. Das muss zwischen einem und fünf Tagen vor Einreise geschehen. Nach der gegenwärtigen Planung werden wir am Mittwoch nach England übersetzen; es ist also Zeit für einen Tierarzttermin. Die Empfangsdame, eine wirklich pfiffige und umtriebige, sucht uns einen diensthabenden Tierarzt in der Nähe, und macht uns einen Termin für 14:30 Uhr. Passt. Wir haben es nämlich nicht eilig heute, weil unser nächstes Ziel nur gute 100 Kilometer nördlich liegt.  

Das bedeutet nicht weniger, als dass wir unsere Expressdurchquerung Frankreichs kurz, aber sehr gerne unterbrechen. Wir wollen nämlich die „Krümels" treffen, jene Freunde und Nachbarn, mit denen wir uns schon in Schottland auf der Isle of Skye getroffen und ihren Carthago bei Regen auf den programmatischen Namen Haggis getauft haben und die ihren Namen wiederum von ihrer kleinen Cockapoo-Dame namens Krümel beziehen. Ob Krümel tatsächlich als Cockapoo geführt werden darf, wird in Fachkreisen angezweifelt, weil sie, angesichts der Tatsache, ein ganzes Leben unter dem Schutz zweier Hovawartdamen verbracht zu haben, für sich selbst den ALoirnspruch erhebt, ebenfalls ein Hovawart zu sein.  

Diese Krümels machen Osterferien in Frankreich, haben einen Blick auf Paris geworfen und sind nun auf dem Weg zu den Loire-Schlössern und weiter zum Atlantik. Als nächstes steht Schloss Chambord, das Zuckerbäckerschloss Franz I. (nicht verwandt mit unserem Franz II.). Sie fahren also von Norden uns entgegen und wir kommen aus dem Süden, mit einem natürlichen Schnittpunkt irgendwo bei den Loire-Schlössern.  

Wollen wir uns nicht treffen? Ja, was denn sonst! Und wo?  

Auf diese Frage gibt es bei uns nur eine Antwort: Bracieux. Der Ort liegt rund sieben Kilometer südlich von Chambord, das man demnach von dort gut erreichen kann. Außerdem liegt er irgendwie an unserer Route, zudem kennen wir dort einen schönen Campingplatz, den wir schon viermal in Anspruch genommen haben, also wissen, was uns erwartet. Aber vor allem erwartet uns in Bracieux ein erstklassiges Restaurant mit dem wegweisenden Namen Rendez-vous des Gourmets. Spätestens beim letzten Argument hätten die Krümels keinen Einwand mehr, wenn sie überhaupt welche hatten. Wir verabredeten uns also für heute im Camping Les Chateaux Huttopia in Bracieux und reservierten auch gleich telefonisch im Rendez-vous für fünf Personen.  

Noch aber sind wir in Les Ormes und wieder allein auf dem Platz, der Holländer ist unterwegs. Wir frühstücken, als wären wir die Gutsherren hier, legen den Mädels eine ausgreifende Fährte kreuz und quer über den Platz, und eine Einheit Unterordnung schließen wir gleich noch nach dem Duschen an, also eigentlich ein Tag, wie gemalt für uns alle. 

Dann begleichen wir unsere Schulden, die sich folgendermaßen zusammensetzen: 7,50 € für den Franz, 1,50 € pro Mensch, 2 € pro Hund (Luxusköter!) und 0,40 € Kurtaxe, macht 14,90 €.  

Um 14 Uhr machen wir uns dann endlich davon, um schon eine Viertelstunde später in Descartes vor der Clinque Veterinaire VIVAVETO wieder zu halten [N 46° 58' 10,0'' E 000° 36' 12,2'']. Die Mädels werden einer Entwurmung zugeführt, die sie um 14:30 Uhr auch schon wieder hinter sich haben, wobei zu erwähnen wäre, dass Hedda bekanntermaßen alles schluckt, während Fianna – altersweise – sich nicht alles andrehen, sondern lieber aufdrängen lässt.  

Als wir nun Les Ormes endgültig verlassen, ohne einen Blick zurückzuwerfen, messen wir diesige 21 °C auf dem Thermometer. Bei Intermarché packen wir noch einmal 60 l Diesel für 1,74.9 € in den Franzenbauch und rollen gen Norden. Wobei: Rollen ist nicht der richtige Ausdruck: Rumpeln und stolpern wäre angebrachter. Die Nebenstraßen könnten hier durchaus einen kleinen Uplift vertragen; eng sind sie und bucklig wie eine Stoßdämpfer-Teststrecke des TÜV. Aber das Land wird reizvoller, die ersten Schlösser schieben sich ins Bild und die Ortschaften werden immer ansehnlicher, gepflegter und typischer. Wir meinen fast, den feinen Wein und die durchgesessenen Plüschsessel der Chateaux durch die Scheiben des Franz zu nüstern.  

Um 16:40 Uhr erreichen wir Camping Les Chateaux Huttopia [N 47° 33' 04,0'' E 001° 32' 17,1''] in Bracieux. Da Huttopia eine Camping-Kette ist und wir nicht nur hier, sondern bereits andere deren Anlagen bereits besucht haben, sind wir längst registriert und werden fast wie alte Bekannte durchgewunken; die Rechnung bekommen wir zugeschickt.  

Im hintersten Winkel des sehr großen Campingplatzes warten die vier Krümels auf uns – Krümel herself, Iris, Jens und das liebenswerte Pubertier Anna-Maria. Nach so langer Zeit des gegenseitigen Verzichts muss und darf eine Begrüßung körpernah ausfallen; wir liegen uns herzlich in den Armen und freuen uns umfassend und umärmelnd über die so spontane Begegnung. Die drei haben schon eine bayerische Brotzeit für uns vorbereitet, die wir zwar in den iberischen Monaten nicht vermissten, der wir jetzt aber gerne zusprechen. Die Sonne lacht vom Himmel, wir sitzen unter hohen Bäumen, Krümel kann sich vor Begeisterung über das unerwartete Wiedersehen mit unseren Mädels gar nicht entscheiden, ob sie ihnen oder uns folgen soll, und natürlich haben wir uns alle viel zu erzählen und Neuigkeiten auszutauschen.  

Um 19 Uhr vollziehen wir dann unser Rendez-vous in aller Form im Rendez-vous des Gourmets. Wir wissen, was uns erwartet, die Krümels nicht, weil Frankreich bislang ein Stiefkind auf ihren Reisen war, abgeschreckt, wie viele, von negativer Propaganda über die abweisenden und arroganten Franzosen. Ihre jüngste Erfahrung mit Frankreich und seinen Bewohnern hat sie indes eines Besseren belehrt und schon so etwas wie eine beginnende, zur Sehnsucht taugende, Frankophilie in ihnen entfacht.

Es wäre viel zu viel Erbsenzählerei, würden wir nun aufzählen, welche Drei- und Viergangmenüs für uns fünf auf den Tisch kommt, aber wer sich kreiselnde Augen unter halb geschlossenen Lidern und geschürzte Mundwinkel vorstellen kann, weiß wie es um uns alle an diesem Abend bestellt ist. Am dessen Ende wissen die drei, warum wir unser Treffen hierher verlegten und haben einen weiteren unaufhaltsamen Schritt hin zur Frankomanie getan.  

Die Krümels lernen auch einige neue Feinheiten aus dem Land der Götterspeisen kennen, etwa Rillette, das vor allem Anna-Maria skeptisch beäugt und mehrmals seine Zutaten und deren Zubereitung (das ersparen wir uns an dieser Stelle) erfragt. Kann sich noch jemand an das inhaltsschwache Trällerliedchen der Soulful Dynamics aus dem Jahr 1970 erinnern: „Mademoiselle Ninette / No, no I never met / A girl like you..."? Der Chronist schlägt vor, Anna-Maria nach diesem Abend zur Mademoiselle Rillette zu ernennen.  

Es ist für uns alle ein rundum gelungener und beglückender Abend, für den wir uns bei den Krümels herzlich bedanken. By the way: Rund 300 € zahlen wir für die Genussvariationen inklusive einiger Weinflaschen. Selten ist Geld so gut angelegt wie im Rendez-vous des Gourmets in Bracieux. Alle, die dieser kulinarischen Spur folgen wollen, sollten unbedingt beachten: Mittwoch gibt es kein Rendez-vous – Ruhetag, ansonsten gilt, unbedingt reservieren.  

Für einen Absacker ist es nicht nur bereits zu frisch, sondern er würde dem Augenblick die Würde nehmen, deswegen verschwinden wir in unsere Betten und träumen die Kalorien einfach weg.  



Escalles
Les Ormes