Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Kilkenny

Kilkenny

Sonntag, 8.5.2022

Es ist der Himmel, der heute Morgen so blitzblau ist, es sind nicht wir! Wir sind in einer geradezu unverschämt und unfassbar formidablen Verfassung! Mensch, geht es uns gut! Guinness im 6/8-Takt ist besser als jede Aura-Waschung. Wir setzen dagegen: Glastonbury my heart at the bend of the Nore.  

Deshalb bummeln wir bei einem Spätstück bis über die Mittagszeit hinweg, finden dann aber doch noch in die Spur, weil wir Dringendes zu erledigen haben: waschen und Franz putzen. Und so füllen wir eine Waschmaschine nach der anderen, bauen um uns herum eine Wagenburg aus Wäscheleinen und Wäsche, schrubben Franzens Auslegeware und hoffen, dass auch sie heute noch trocken wird. Reisen ist eben nicht immer nur unbeschwertes Dahintrudeln, gelegentlich greift der Alltag durchs Fenster und packt einen an der Gurgel: Wasch jetzt endlich wieder einmal! Dann muss es sein.  

Die 18 °C bei blauem Himmel und einer leichten Brise lassen uns hoffen, dass wir unsere Wäsche rechtzeitig trocken einfahren können. Die langwierigeren Teile kommen in den Trockner.  

Abends gibt es heute nur Studentenfutter und Oliven mit etwas Wein und Bier; man muss auch mal bescheiden sein können. Dann nutzt der Chronist die freundliche Temperatur für ein wenig Hausmusik, was ihm bisher meist nur steife Finger nach nur wenigen Minuten einbrachte. Allzu lange geht das aber auch heute nicht gut, es wird eben schnell frisch hier im hohen Norden.  

Bescheidene Genießer der Hausmusik ist hinter uns ein neu angekommenes Paar aus Düsseldorf. Und die sind es auch, deretwegen wir überhaupt diesem Tag einen eigenen Eintrag widmen, was er eigentlich, obwohl wir voll des Lobes für ihn sind, nicht verdient hätte.  

Robins gibt es

Die Düsseldorfer sind Teil einer Reisegruppe, die heute hier angekommen ist: 16 Womos aus Deutschland auf einer geführten Tour von SeaBridge, einem deutschen Anbieter von Wohnmobiltouren. Es wird nicht im Konvoi gefahren, sondern individuell, und man trifft sich jeweils an den geplanten Besichtigungs-Stopps und Campingplätzen. 1.975 € kosten die 25 Tage pro Person. Alleinreisende müssen nochmal einen knappen Tausender drauflegen. Darin ist einiges enthalten, aber nicht genug, dass es individuell nicht deutlich billiger ginge. Als wir uns dann das Roadbook der Tour ansehen dürfen, fallen wir fast aus den Wolken: Das ist genau die Route, die man auch mit unserem Womo-Reiseführer nachfahren kann! Da hat sich niemand Mühe gegeben, etwas Besonderes herauszusuchen, die eigentliche Herausforderung war, zu entscheiden, was in 25 Tagen nicht unterzubringen ist und gestrichen werden muss.  

in Irland zuhauf

Auch nach einem längeren Plausch mit den beiden, haben wir nicht so richtig herausfinden können, worin der Reiz einer solchen geführten Tour sein soll. Und ehrlich: Sie wissen es selbst nicht, sie haben davon erfahren und sich angeschlossen. So simpel geht es manchmal zu im Leben. Es ist uns wichtig klarzustellen, dass jeder reisen kann, wie es ihm beliebt, aber uns fehlt das Verständnis, warum man die Freiheit, Flexibilität und Spontaneität, die man sich mit einem Wohnmobil für sehr viel Geld erkauft hat, an der Kasse eines Reiseveranstalters wieder verkauft. Das erschließt sich uns nicht. Aber: bitteschön… jeder nach seiner Faҫon. 

Während unseres Gesprächs haben die beiden uns ausgefragt, was man hier machen kann und was wir gemacht haben, und wir haben ihnen unsere Begeisterung offenbar so schmackhaft vermitteln können, dass sie abends unbedingt auch in die Stadt und die Kneipen wollten. Allein: Als der Chronist seine Hausmusik vor sich hin trällert, sitzen die beiden vor ihrem Grill und lauschen. Weil wir wissen, dass es nicht die Loreley ist, die sie von ihrem Vorhaben abgehalten hat, fragen wir einfach nach: Hey, ihr wolltet doch auf Kneipentour, was'n los? Die Antwort kommt etwas verdruckst. Er meint, sie hätten sich eben anders entschieden und mehr Lust auf Gegrilltes gehabt, sie gibt unter vorgehaltener Hand zu, dass sie sich nicht getraut haben. Getraut! In Irland, einer europäischen Kulturnation. Nicht getraut... Wer es gewohnt ist, sich führen zu lassen, findet sich irgendwann allein nicht mehr zurecht. Gegen eine geführte Kneipentour hätten sie sehr wahrscheinlich nichts gehabt und sich auch nicht davor gefürchtet. Was sich für manchen möglicherweise wie Spott anhört, ist nichts als Traurigkeit, weil wir es unendlich schade finden, dass man sich auf diese Weise so viel Leben durch die Finger gleiten lässt.  

Apropos, durch die Finger gleiten. Neben den Düsseldorfern haben wir noch die Bekanntschaft eines älteren irischen Paars gemacht, die, wie wir während eines längeren Plauderstündchens erfahren, gerade auf dem Weg zu ihrem Schwiegersohn nach Dublin sind. Muss man eigentlich nicht erzählen, wenn man nicht erfahren hätte, dass ihr Schwiegersohn Michael Flatley heißt. Who the fuck is Michael Flatley? Nach Fred Astair und Patrick Swayze vermutlich der berühmteste Tänzer aller Zeiten, Stichwort: Riverdance und Lord oft the Dance. Er ist der Entwickler, Choreograph, Regisseur und herzensbrechender Vortänzer dieser irischen Tanzshows, die die Hallen auf der ganzen Welt füllte und Marktfrauen am nächsten Tag dazu verleitete mit irgendwie verkreuzten Beinen und verknoteten Füßen um ihren Stand herumzutaumeln. Und in diesem Zusammenhang kann sich der Chronist den kleinen Sidestep nicht verkneifen, dass diesem Flately jede Menge Frauen durch die Finger geglitten sind, jedenfalls, wenn man gut informierten Kreisen glaubt. Dem Vernehmen nach schaffte es keine Tänzerin auf seine Bühne, ohne den kleinen Umweg über sein Bett, was wiederum für vielseitige Qualitäten der Tochter unserer Nachbarn zu sprechen scheint. Augenscheinlich war sie die echte Perle im Glasperlenspiel. Jetzt aber nur kein Neid, Chauvi!  

Noch eine kleine Perle des Camperalltags dürfen wir heute sammeln, als nämlich die Reiseleiterin für morgen einen Campingplatz reserviert, was wir sonst eigentlich nie tun. Doch am Mittwoch haben wir einen Muss-Termin in Limerick, für den wir die Voraussetzungen schaffen wollen, rechtzeitig und ohne Stress dort anzukommen. Deshalb haben wir uns auf dem Weg dorthin diesen Campingplatz ausgesucht, der ein ideales Sprungbrett ist. Als die Reiseleiterin nun für die Reservierung ihren Namen buchstabieren soll, buchstabiert die Dame am anderen Ende der Leitung hinterher; Es---si---eitsch---ju---bi---i---ar---ti --- Schubert – und bricht anschließend in einen Jubel aus, mit dem wir nichts anfangen können, bis sie völlig atemlos ausruft: „Meine erste Reservierung in Deutsch!!!"  

Das sind die Perlen, die wir sammeln wollen. Und es liegen so viele überall herum und warten darauf, ins Schatzkästchen gepackt zu werden...  

Rock of Cashel / Glen of Aherlow
Kilkenny