Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Limerick

Anna Eggersberger Final Performance University of Limerick

Mittwoch, 11.5.2022 

Die Geschichte rund um unser heutiges Ziels nahm vor knapp 30 Jahren ihren Anfang.

Ganz zu Beginn unserer Fahrt ins Blaue erreichte uns eine Mail, die sinngemäß so lautete: Hallo, ich bin die Bärbel, wir waren vor dreißig Jahren zusammen im Kanal segeln. Könnt ihr euch noch an mich erinnern? Ich habe gerade alte Fotos sortiert und die Bilder von damals wiedergefunden, nach euch gegoogelt und dabei festgestellt, dass wir inzwischen beide im Landkreis Rosenheim leben. Habt ihr Lust, dass wir uns mal treffen? 

Und ob wir Lust hatten…  

Damals, vor beinahe 30 Jahren war der Chronist Vorsitzender der Segelsparte des IBM-Klubs in München und organisierte mit einem anderen Ausbilder diesen Turn zu den Kanalinseln. Von St. Malo aus ging es zu den Îles Chausey, weiter nach Jersey, Alderney und Guernsey. Von dort steuerten wir Morlaix und Tréguier in der Bretagne an, bevor es wieder zurück nach St. Malo ging. Wir waren mit zwei Schiffen unterwegs, jeweils mit einer sechsköpfigen Besatzung. Der Turn blieb sicher für alle unvergessen, vor allem die lange und sehr schaukelige Überfahrt nach Morlaix, die die meisten Crew-Mitglieder auf dem Rücken liegend unter Deck erlebten. Und dann die Nachtansteuerung von Tréguier durch den schlauchengen und seichten Ästuar des Jaudy, der uns bei der geringsten Unaufmerksamkeit auf Grund gesetzt hätte. In dieser Nacht schlief niemand, da waren alle hellwach an Deck. Doch als wir nachts um eins in die Marina von Tréguier liefen, lag das Spiegelbild der goldenen bestrahlten Kathedrale im Hafenbecken. Diesen Anblick vergisst man sein Leben nicht, und er schweißt Menschen zusammen. Seither ist Tréguier einer unserer Sehnsuchtsorte, und seinetwegen haben wir die Kathedrale als virtuellen Schlafplatz für unsere alte Dame Anouk ausgesucht, die wir immer besuchen, wenn wir in der Nähe sind.  

Und trotzdem haben wir Bärbel, an die wir uns gut und gerne erinnerten, seither nie wieder gesehen. Wir antworteten postwendend und freuten uns auf ein Treffen irgendwo in und um Rosenheim, baten aber um Aufschub bis Juli, weil wir bis dahin auf Europareise seien. Und so kamen wir postalisch ins Plaudern und skizzierten unsere geplante Reiseroute. Als Antwort kam: Falls ihr es, wie geplant, nach Irland schafft, könnten wir uns dort treffen; wir sind nämlich auch dort! Warum nicht in Irland, wenn es 30 Jahre zuhause nie geklappte hat? Sie, Bärbel und ihr Mann Michi, würden am 11. Mai in Limerick sein, weil dort ihre Tochter Anna auf der Academy for Irish Dance and Music irische Harfe studiert und an diesem Tag ihre Final Performance für den Bachelor habe. Sachen gibt's…  

Wir blieben in Kontakt, und heute ist der Tag gekommen, an dem wir nicht nur nach Limerick fahren, sondern auch noch der großen Show der kleinen Anna beiwohnen dürfen, weil die uns, als sie die Geschichte erfuhr, spontan dazu einlud.  

An solchen Tagen, die keine Experimente dulden, gibt es Müslifrühstück, damit sich der Küchenaufwand in Grenzen hält. Um 10 Uhr fahren wir bei 13 °C los, und bei einem Wetter, das man hierzulande mit „All 4 seasons in one day" bezeichnet.  

In Tipperary tanken wir den Franz voll und fahren um 11 Uhr in Limerick auf den Besucherparkplatz der Universität, wo wir uns in die hinterste Ecke stellen, obwohl wir kaum jemanden den Platz nehmen können, weil bereits Semesterferien sind und der Parkplatz fast leer ist [N 52° 40' 52,8'' W 008° 34' 07,2'']. Jetzt spitzt die Sonne durch die immer noch übermächtigen Wolken, allerdings messen wir nur noch 10 °C.  

Bald darauf fahren Bärbel und Michi vor, Bärbel, die wir auch nach fast 30 Jahren sofort wieder erkannten und Michi, der damals noch nicht auf dem Regiezettel stand. Die Begrüßung ist herzlich, als ob wir uns nie aus den Augen verloren hätten; die 30 Jahre haben uns nicht entfremdet. Mit den beiden und der Mutter einer irischen Kommilitonin von Anna gehen wir ins Pavillion, der Cafeteria der Uni, und bereiten uns seelisch mit einem Kaffee auf den großen Moment vor; wir sind voller freudiger Spannung, Bärbel und Michi aber zerreißt es fast.  

Dann, um 13:30 Uhr ist Anna dran. Schon mit fünf Jahren teilte sie ihren Eltern mit, dass sie Harfe spielen müsse, nicht will, nein: sie muss Harfe spielen! Und so machte sie sich auf den Weg, unterstützt von den Eltern, wo es notwendig war, aber nie geschoben oder gedrängt. Anna kannte ihren Weg und verfolgte ihn konsequent über alle Hindernisse hinweg bis zum heutigen Tag. Und es sollte die irische Harfe sein, weil sie etwas Besonderes ist, Konzertharfe kann ja jeder, außerdem bringt man sie in keinem Auto unter.  

Diese Final Performance muss vom Prüfling komplett selbst gestaltet werden, dazu gehört auch eine eigene Komposition, Auswahl und Arrangements der Stücke, Wahl der begleitenden Instrumente und deren Spieler, was bei einer Ansammlung von sich selbst überzeugter Künstler auch nicht immer einfach ist, und dann muss natürlich gespielt werden, und zwar überzeugend, nicht nur irgendwie fehlerfrei.  

Die zierliche Anna meistert diese Herausforderung mit Bravour. Ihre Mitspieler begleiten und unterstützen sie, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Anna verzichtet auch bewusst auf publikumswirksame Begleitung, sondern setzt auf ihre Harfe, um die es heute geht, sie soll im Vordergrund stehen, nicht die berauschende Wucht irischer Tunes, die sie auch für sich arbeiten lassen könnte. Ihre Begleitung mit Tin Whistle oder Uilleann Pipe, Fiddle, Concertina, einer zweiten Harfe und gelegentlich einer zurückhaltend geschlagenen Bodhrán breiten Annas Harfe einen fein gesponnen Teppich, auf dem sie tanzen kann. Und wie sie tanzt! Anna ist ganz bei sich, hoch konzentriert und doch so weit weg. Von Stück zu Stück schwebt sie weiter auf ihren Klängen davon, und ihr Gesicht strahlt pures Glück. Das ist das Holz, aus dem Ausnahmemusiker gemacht sind, und Anna wird ihren Weg gehen, daran lässt der heutige Tag für uns keine Zweifel.  

45 Minuten dauert Annas Performance, die für uns wie im Flug vergehen. Wir genießen jede Minute und jeden Akkord, und danken Anna von ganzem Herzen für die Einladung. Die Minuten danach, als Anna zu uns kommt, sind die emotionalsten, die man sich denken kann, da schmelzen Eltern- und Kinderherzen zusammen und alle Dämme brechen: Der Lohn einer langen, nicht immer einfachen Zeit! In solchen Augenblicken, wenn das vegetative Nervensystem die Vollkontrolle über die Beteiligten übernimmt, empfiehlt es sich, die Gefühle unter Kalorien zu begraben: Wir gehen ins Pavillion essen, einige ihrer Mitspieler(innen) sind auch dabei, und so entspannt sich der Gefühlspegel wieder.  

Während Anna sich noch auf einen weiteren Auftritt vorbereitet, bei dem sie eine Kommilitonin bei deren Performance begleitet, machen wir mit Bärbel, Michi und den Hunden einen Spaziergang rund ums Unigelände. Schon als wir zurück sind, spürt der Chronist ein Kratzen im Hals und weiß, dass seine Bekleidung nicht angemessen ist, der Wind zog unaufhörlich durch die zu spärlich bedeckten Rippen. Damit wird er sich noch eine Weile herumschlagen, das kennt er aus Erfahrung.  

Während Bärbel und Michi in ihr Hotel fahren, schauen wir uns um 18:30 Uhr noch eine Harfen-Performance an und erleben den Unterschied. Diese Studentin spielt natürlich auch sehr gut, sonst würde sie nicht in diesem kleinen Theater sitzen, aber uns fehlt ein wenig das Herz; es überwiegt die Technik und die etwas schreierische Begleitung, die der Harfe mitunter die Luft zum Atmen nimmt. Danach wissen wir umso mehr, dass Anna ein herausragendes Konzert gespielt hat.  

Wir ziehen uns in unser Womo zurück und werden von der Trauermeldung getroffen, dass heute Fiannas Schwester Fine gestorben ist. Ausgerechnet heute, an einem so überwältigend schönen Tag. Kann denn nichts einfach nur schön sein? Fine, wir erlauben uns, ohne Anna zu fragen, dir ihre Klänge mit auf den langen Weg zu geben. Es schwebt sich gut auf ihnen.  

Dennoch muss das Leben weitergehen und es erlaubt sein, der Meisterin, einen an diesem Ort angemessenen Toast auszubringen, natürlich in Form eines Limericks. Was sonst? Dieser hier ist nur für dich, liebe Anna:  

Die Anna aus RO ist ne Nette,
Geht mit der Harfe aufs Klo und ins Bette.
Mit Quinten und Terzen
Schmilzt sie alle Herzen
Und ist jetzt zu Recht Bachelorette.



Cobh
Rock of Cashel / Glen of Aherlow