Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Killarney Nationalpark

Hedda in Killarney

Samstag, 21.5.2022

Wir verschreiben uns heute Morgen einen langen Anlauf mit Frühstück im Freien bei blau-weiß-schwarzem Himmel.  

Die Dogwalkerin hat, neben ihren Hundespaziergängen, sowieso kaum Zeit für die Belange des Reisealltags, weil sie ständig mit ihrer Kamera auf Safari ist: Drüben, in den riesigen Parkanlagen auf der anderen Straßenseite lassen sich in unregelmäßigen Abständen Hirsche blicken, die meist ohne große Scheu ihrem Tagwerk nachgehen. Da die Tiere keinen Anwesenheitsplan an die Mauer gehängt haben, bedeutet das für die Linsenjägerin, allzeit bereit zu sein und auf der Lauer zu liegen.  

Doch gegen 13 Uhr sieht sie ein, dass bei Hirschens offensichtlich eine längere Siesta ansteht, und gibt den Rest des Tages für eine Wanderung in den Nationalpark frei. Wir schnüren unsere Stiefel, nehmen die Mädels an die Leine und marschieren los.  

Unser Weg führt uns auf die Landbrücke zwischen dem großen Lough Leanne im Norden und dem kleinen Muckross Lake im Süden hinüber zum Dinish Island.  

Berge und Klippen sind hier nicht zu erwarten, aber viel plappernde Bäche und moorige Wasserlöcher, Feenwälder mit hüfthohen Farnen, blühende Weißdornwälder und mit flechtigen Zwergenbärten behangene Nadelbäume, luftige Birkenbestände, die flirrende und gleißende Lichtmuster auf Moospolster zaubern und, unvermeidlich, Rhododendron Ponticum, der unschuldig rosa blühende Eichenkiller, dazwischen weite gelbe Irisfelder, kreuz und quer übereinander gestapelte Baumleichen und haushoch aufragende Wurzelscheiben; das ganze Leben und Sterben, Werden und Vergehen in frohe Farben und betörende Düfte verpackt.  

Unseren Mädels können wir kein größeres Geschenk machen als diese Urweltfahrt. Wir können sie in ihrem Glück gewähren lassen, weil unser Weg nur selten Schafweiden berührt und auch nur wenig andere Wanderer unterwegs sind.  

Um 15:30 Uhr haben wir an Dinis Cottage auf Dinish Island den äußersten Punkt unserer Wanderung erreicht. Wir setzen uns an einen Tisch direkt am Muckross Lake und stärken uns mit einer heißen Schokolade (mit Marshmallows!), einem Pott Tee und zwei Kuchen. Es sind nur wenige Wanderer hier, einige Fahrradfahrer, aber dafür, dass Samstag ist, ist der Besucheransturm sehr übersichtlich.  

Wir haben nun die Wahl, entweder den ganzen Schlauch zurückzugehen oder mit dem weiten Weg südlich des Muckross Lakes und entlang der N 71 unseren ganz privaten Ring of Kerry zu vollenden. Wir beschließen, die dritte Variante zu wählen: Das Boot, das von hier alle 20 Minuten zum Muckross House übersetzt.  

Nach über einer halben Stunde, in der sich weit und breit kein Boot sehen ließ, fragen wir im Restaurant nach und bekommen bestätigt, dass das Boot bestimmt kommen wird; es fährt immer. Sicherheitshalber würden sie den Schiffer aber anfunken und ihm mitteilen, dass Kundschaft wartet. Also warten wir an unserem Tisch am See und genießen die Natur bei anstandslosem Wetter. Als weitere 30 Minuten vorüber sind und auf dem ganzen See kein Schiff zu blicken ist, werden wir noch einmal bei Dini vorstellig. Kein Problem, sie hätten ihn telefonisch erreicht und er käme in etwa 20 Minuten. Wir lernen: 20 Minuten ist die mittlere Zeitwährung, mit der man in Irland kalkulieren muss.  

Und dann ist das Boot tatsächlich um 16:45 Uhr da. Wir sind die einzigen Gäste auf dem Schiff und bezahlen pro Person 10 €, die Hunde werden als blinde Passagiere mitgenommen. Der Chronist erwägt kurz, den Skipper auf dessen Landsmann Chris de Burgh und dessen Lied „Don't Pay the Ferryman" anzusprechen und die Entlohnung aufs Ende der Überfahrt zu verlegen, unterlässt es jedoch, weil er diesem netten Fährmann absolut keine Gemeinheiten zutrauen mag. 

Für Hedda sind solche, sehr seltenen, Fahrten ein Glanzlichter in ihrem ach so ereignislosen Leben. Sie kann ihren Hintern kaum ruhig halten und ist ständig nach allen Seiten in Hab-Acht-Stellung. Das sind die Momente ihres Lebens, in denen sie gerne eine Eule mit deren Rundumblick über 270 Grad wäre. Fianna genießt die Überfahrt, wie sie fast alles in ihrem Leben, außer Ohrenputzen und Leinenspaziergänge, genießt. Sie sitzt mit geschlitzten Augen, lässt sich die Haare vom Fahrtwind wuscheln und wiegt sich im sanften Takt der Wellen – Seeräuber-Fanny vom Mangfalltal.  

Und so schnurren wir quer über den See und unterhalten uns ein wenig über den Tourismus nach Covid, weil wir finden, dass für einen Samstag sehr wenig los ist. Er bestätigt, dass es erst jetzt wieder, aber eben sehr zäh anläuft, was auch der ziemlich leere Campingplatz zu bestätigen scheint. Die Leute, meint er, sind fernreisesüchtig, sie fliegen lieber durch die Welt und nehmen dafür sechs und mehr Stunden Wartezeit am Flughafen in Kauf, weil die kein Personal mehr für die Abfertigung haben. Wir denken uns, aber sagen nicht, dass auch wir länger als ausgewiesen auf die Abfertigung für dieses Boot gewartet haben, grinsen den Gedanken aber lieber in uns hinein, weil das sicher nicht am Personalmangel lag, sondern am Schiffer, der den Fährtag für sich schon abgehakt hatte. Warum auch nicht, wenn keine Passagiere warten? Die Fähr- und Fluggesellschaften stornieren ja auch ständig Verbindungen unter fadenscheinigen Vorwänden.  

Nach einer Viertelstunde gehen wir beim Muckross House an Land und bedanken uns sehr herzlich beim Kapitän; schönen Abend noch. Wir müssen jetzt noch eine gute Stunde zum Campingplatz marschieren, wo wir nach fast 14 Kilometern (die drei Kilometer auf dem Fährboot exklusive) und fünfeinhalb Stunden wieder ankommen.

Es ist 18:15 Uhr, das Wetter ist schön und angenehm und die Jägerin macht sich sofort wieder auf und hinüber zum Hirschengrund, um zum Schuss zu kommen.  

Dann gibt es doch noch einen späten Gin Tonic auf einen sehr gelungenen Tag. Die Geflügel-Fleischpflanzl (Frikadellen, Buletten), die wir gestern bei LIDL gekauft haben, sollen unseren verbrauchten Kalorienstand wieder aufpäppeln, veräppeln uns jedoch mehr, als dass sie munden: Sie schmecken wie Marshmallows mit Sägemehl.  

Wir ersetzen die Pflanzl durch Guinness.  

Killarney Nationalpark
Killarney Nationalpark