Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Kissane Sheep Farm / Camp

Kissane Sheep Farm

Montag, 23.5.2022

Der Morgen beschert uns wieder alle verfügbaren Wetterlagen auf einmal: Regen, Wolken, Sonne, Wind.  

Aber das kann die Dogwalkerin selbstredend nicht daran hindern, ihre Lieblinge auszuführen, was heute Konsequenzen hat. Während nämlich der Küchencheffeur eifrig dabei ist, den drei Damen ein ihnen angemessenes Frühstück zu präparieren, erreicht ihn ein Anruf seiner Spaziergängerinnen: Hirschalarm! Er möge unverzüglich die Kamera unter den Arm klemmen und hinaus- und hinüberlaufen, um sie noch einmal abzulichten. Unverzüglich! Erst muss er unverzüglich das Kameraversteck ausfindig machen, dann das kleine Objektiv abschrauben, den Extender und die lange Linse aufsetzen und dann, nun ja, bei etwas Regen, was sonst, zum Hirschsprung eilen. Die touristisch erfahrenen Hirsche haben auf ihn gewartet, sich allerdings schon ein wenig in den Hintergrund zurückgezogen. Aber immerhin: Frau von Hirschhausen wird zufrieden und gnädig gestimmt sein ob der Ausbeute.

Und nun kann doch noch in Ruhe gefrühstückt werden, der Franz wird anschließend reisefertig gemacht, und um 11:45 Uhr machen wir uns auf den Weg.

Noch lässt uns der Nationalpark nicht los, noch einmal müssen wir ihm unsere Aufwartung machen. Also geht es diesen irischen Traumpfad wieder zurück, noch einmal vorbei an Ladies View und dann weiter zur Kissane Sheep Farm. Dort wollten wir schon bei unserer Anreise einen Stopp machen und uns die Sheep-Dog-Präsentation anschauen, aber damals hatte die Farm geschlossen, weil die Hunde Trials in Tipperary gelaufen sind und, wie wir heute erfahren sollten, dabei den ersten und zweiten Platz belegten. 

Um 12:15 Uhr sind wir in der Farm [N 51° 56' 55,21'' W 009° 37' 56,64''], und pünktlich zum Beginn der Vorführung, beginnt es ordentlich zu regnen. 7 € bezahlen wir und bekommen dafür eine wirklich beeindruckende Schau geboten. Sie dauert nur eine Viertelstunde, aber mit welcher Souveränität und Ruhe, wenn notwendig aber auch im Schnellzugtempo, ein einziger Border Collie eine Schafherde vor sich her treibt und dorthin dirigiert, wo sein Hundeführer es ihm aufträgt, ist so faszinierend, dass selbst der strömende Regen das Vergnügen nicht schmälern kann.  

Der Hundeführer steht nahe bei uns, ganz am Rand des riesigen Terrains, und steuert den Hund mit unterschiedlichen Pfiffen. Bis zu 500 Metern können die Hunde diese Signale hören und umsetzen. Alles, was dieser Hund macht, ist pure Leidenschaft und Lebensfreude, der muss nicht arbeiten, der will es und kann es gar nicht erwarten, bis es endlich losgeht. Die Augen auf seine Schafe gerichtet, der ganze Körper eine Bogensehne, bis der erste Pfiff den Hund von seinem Ansitz auf einem Fels abschießt. Jedes Signal hat seine Bedeutung und der Border setzt es augenblicklich um. Man erkennt auch, dass es sich nicht um einstudierte Abläufe handelt, was bei einer Schafherde auch schwierig wäre: nein, der Hund führt eine Bewegung aus und wartet aufs nächste Kommando, bis der Hundeführer schließlich das Abbruchsignal gibt, was, wegen des Regens, offenbar früher kommt als sonst, weil der Hund kurz überrascht scheint, dass sein Einsatz schon vorbei ist.  

Aber ein Border ist eben auch nur ein Hund: Beim aufbrandenden Beifall der mindestens 50 Zuschauer, fängt er an zu tänzeln wie ein Gigolo (Übrigens: Alle Hütehunde, die wir in Irland bisher gesehen haben, sind ausnahmslos Border Collies, kein einziger Australian Shepherd). Wie schon vor die Jahren in Schottland, als wir diese Hunde bei der Arbeit beobachten durften, wird es uns schwer ums Herz, wenn wir an unsere heimischen Mode-Borders denken, die ein so wesensfremdes Leben fristen müssen und oft genug gerade deswegen neurotische Seelenkrüppel sind. Ein Border will und muss treiben und hüten, dafür ist er gezüchtet, er braucht das, wie die Luft zum Leben. Aber wenn sie doch so süß sind…  

Wir haben anschließend noch lange Gelegenheit, mit dem Farmer selbst zu sprechen und bekommen tiefe Einblicke in die aktuelle irische Welt der Schafzucht. Ihm gehören hier im Nationalpark etwa 1000 ha, wie viele seiner Schafe dort leben, weiß er nicht. Sie werden geboren und sterben, werden zum Scheren zusammengetrieben, aber umständehalber nicht alle zugleich, weshalb er nicht wirklich weiß, wie viele Schafe er hat. Die größte Sorge machen ihm die Füchse, die die Schafe holen, wobei die Rüden die schlimmeren sind, weil sie wegen des großen Angebots reißen und den großen Rest liegen lassen. Die Fähen nehmen ihren Riss mit in den Bau für den Nachwuchs. Seine Hauptbeschäftigung ist demnach die Fuchsjagd.  

Auf unserer Nachfrage erklärt er uns, dass der Hauptzweck seiner Schafhaltung die Landschaftspflege und die Nachzucht sei, weil die Schafe hier im Nationalpark sehr gesund und hart sind, weswegen sie bei anderen Züchtern sehr begehrt seien. Nur ein geringer Anteil seiner Schafe diene der Fleischgewinnung. Der Wollmarkt liege hingegen völlig am Boden und ist komplett tot, kein einziger Euro sei daraus zu holen. Er zeigt uns einen riesigen Container, in dem er die Wolle von drei Jahren lagert. Er versucht sie so trocken und schädlingsfrei wie möglich zu halten, falls se doch wieder einmal nachgefragt werde, sonst müsse sie vernichtet werden.  

In einer solchen Situation müsse man erfinderisch sein und eben solche Leistungsdemonstrationen anbieten, um überhaupt überleben zu können. Und weil der Euro lockerer sitzt, wenn das Herz freudig schlägt, dürfen die Besucher auch so ein kleines Lamm-Waisenkind, das seine Mutter verloren hat, im Stall auf den Arm nehmen. Die Reiseleiterin lässt sich nicht zweimal bitten. Sie dürfe es auch mitnehmen, mit der Option, es zurückzugeben, wenn es ausgewachsen sei. So weit geht der Kuschelimpakt dann doch nicht, zumal zwei Hunde schon die Grenzen unserer kleinen Welt nahezu sprengen. Selbst wenn wir statt zweier Hovawarte zwei Borders an Bord hätten, hätte das Verhältnis von Hütern zu Behütetem schwere Schlagseite. Das Waisenkind wird anderen Armen übergeben und macht auch dort mit seiner Kinderstimme ein Herzeleid animierendes Mäh-äh. Vermutlich wird es dennoch auch heute wieder nicht adoptiert werden.  

Wir kaufen noch ein paar Kleinigkeiten im Farm-Shop und stecken einen Schein in die Sammelbüchse. Wir sind angefasst von der Situation und angetan von dem, was wir gesehen haben, aber nicht in der Lage die irische Schafwelt zu retten. So lange Schafhalter sich so erfindungsreich am Leben halten können, wird es für sie auch weitergehen. Und für uns muss es jetzt auch weitergehen, da gibt es kein Muh und kein Mäh. Um 13:15 Uhr ist es so weit, wir fahren los.  

Wir haben schon gestern beschlossen, nicht auf die Dingle-Halbinsel zu fahren, weil es dort noch touristischer und enger zugeht als auf dem Ring of Kerry. Irgendetwas fällt immer durchs Sieb, für uns ist es diesmal Dingle.  

Unser heutiges Ziel liegt heute an der nördlichen Basis der Dingle Halbinsel. Also rollen wir noch einmal durch den fabelhaften Nationalpark nach Norden, lassen den Franz ein weiteres Mal am Ladies View Pause machen, nur um diese unbeschreibliche Aussicht ein letztes Mal auf- und mitzunehmen. Dann geht es vorbei an Killarney bis nach Camp, wo wir den Franz um 14:30 Uhr auf dem Parkplatz der Junction Bar abstellen [N 52° 13' 36,1'' W 009° 53' 33,0''], vor uns der weiß-blau belichtete Atlantik, hinter uns die Kneipe.  

Die Reiseleiterin ist so entzückt, was sie an Landschaft um sich herum ausmacht, dass sie gleich die Mädels nimmt und ausführt. Kaum ist sie draußen, spricht sie der Nachbar, ein Schafbauer, der soeben seine Schafe von einer Weide auf die andere getrieben hat, an, ob sie wisse, wo sie mit den Hunden gehen könne. Nein, das wisse sie nicht. Macht nichts, beruhigt er sie. Sie solle einfach direkt unterhalb seines Hauses die Wiese queren, dann den nächsten Weg hinunter zum Strand; gehört alles ihm, kein Problem. Das Leben kann so leger sein, wenn man aufeinander zugeht. Und dann dürfen sich die Mädels wieder einmal an einem Strand austoben, was nur ihnen ein unbeschwertes Vergnügen bereitet; der Chauffeur sieht sich schon wieder mit Bürste und Teppichklopfer hantieren.  

Weil das Pub heute nichts Festes, sondern nur Flüssiges anbietet, machen wir um 19:30 Uhr eine kleine Brotzeit, und der Chronist einen Corona-Schnelltest, weil der Husten einfach nicht nachgeben will: negativ. Das ist positiv, weil wir damit um 20:30 Uhr in die Kneipe können. Zum Einstieg probieren wir einen wirklich exzellenten Dingle-Gin, dem lassen wir zwei Guinness und zwei Whiskey folgen und sind um 22 Uhr wieder bei den Mädels. Zur Abwechslung regnet es wieder einmal und das Thermometer meldet 11 °C. Aber der Blick aufs Meer ist immer noch betörend schön.  

Der heutige Tag hatte etwas ganz Besonderes im Gepäck: einen Regenbogen, den wir sogar fotografieren konnten. In Irland scheinen ich Regenbögen nicht sonderlich wohlzufühlen, denn er war der erste seit unserer Einreise. Erstaunlich! Es regnet dauernd, abwechselnd mit Sonnenschein, aber Regenbögen machen sich rar. In Schottland haben wir sie schon gar nicht mehr zur Kenntnis genommen, weil wir täglich mehrere zählen durften. Vielleicht können sich die Iren keine Regenbögen mehr leisten, weil ihnen die gehässigen Feen immer die Goldtöpfchen an deren Fuß klauen…  

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Loop Head / Miltown Malbay
Killarney Nationalpark