Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Burren / Clonmacnoise / Ballykeeran

Burren

Freitag, 27. / Samstag, 28.5.2022

Der Morgen lässt hoffen, dass wir unsere Reise doch fortsetzen können. Von Kaiserwetter kann keine Rede sein, aber in Irland muss man schon mit einem teilsonnigen Grafenwetter zufrieden sein.  

Wir frühstücken mit aufgehellten Gemütern, dann verabreichen wir dem Franz eine eingehende Reinigung des Frischwassertanks, was dringend erforderlich ist und sich hier anbietet, weil die Bedingungen ideal sind. Dann wird ver- und entsorgt und wir verlassen Nagle's Doolin Park um 12:15 Uhr.  

Jetzt ist der Himmel blau, was darauf schließen lässt, dass sich der Wetterpeter im Himmel einen ordentliche Anpfiff einhandelte, als man im Board of Directors erfuhr, dass wir wegen ihm Irland verlassen wollen. Mehr als 13°C liefert er dennoch nicht, der sture Bock. Der kann nur eine Bayer sein. Oder ein Ire.  

Nordwärts geht es weiter in den Burren, wo wir nach 20 Minuten den Franz abstellen [N53° 03' 39,3'' W 009° 21' 43,5''] und eine der irrsten Landschaften der Welt, nein nicht besuchen, sondern begehen: den Burren. Der Burren ist eine völlig kahle Karstlandschaft im Nordwesten des County Clare und erstreckt sich über ungefähr 250 km². Bis in die mittlere oder späte Bronzezeit lässt sich nachweisen, dass das Gebiet von einer Bodenschicht bedeckt war und von Pinien, Eiben und Birken bewachsen war. Seit dem Neolithikum haben intensive Landwirtschaft und Rodung die Erosion so weit vorangetrieben, dass keinerlei Bewuchs mehr möglich ist.  

Die Oberfläche dieses Kalksteingebiets ist durch etwa knietiefe Klüftungen in rechteckige Felder gegliedert, die durch Oberflächenwasser gebildet wurden. Wenn man über dieses bizarre Schachbrett läuft, knackt etwa jede 25. Platte, die sich von der Basis gelöst hat. Mehr Ödnis kann man sich kaum vorstellen. Oliver Cromwell, Mitte des 17. Jh. für kurze Zeit Lordprotektor, also Herrscher über den gesamten Commonwealth of England, befand einst angesichts dieser knackenden Wüstenei: „Kein Baum, an dem man einen Mann aufhängen, kein Tümpel, worin man ihn ersäufen, keine Erde, in der man ihn verscharren könnte." An ihren Reden sollt ihr sie erkennen…  

Es ist unfassbar, welchen Reiz eine solche Landschaft auf das Auge ausüben kann, das Auge, das sich in forty shades of green suhlt, das sich in schillernden, glitzernden, glühenden Wasserläufen ertränkt, dasselbe Auge kann nicht von dieser graugefurchten Kalksteinwüste lassen.  

Gegen 12:50 Uhr reißen wir uns dennoch los und rollen durch diese immer wilder und felsiger werdende Landschaft mit irrealen Bergformationen. Für uns ist diese Steinwüste ein Menetekel für die Effektivität, mit der die Menschheit in der Lage ist, sich ihrer Lebensgrundlagen selbst zu berauben. Offensichtlich ist das keine neuzeitlich erworbene Begabung zur Selbstentleibung.  

Wir fahren immer an der Küste entlang durch diese unwirkliche Welt bis zur Spitze am Bell Head und folgen der Küste weiter bis nach Ballyvaughan, von wo wir uns dann über die N 67 und R 480 bis zu den Poulnabrone Dolmen vorarbeiten, die wir um 13:45 Uhr erreichen [N 53° 02' 49,0'' W 009° 08' 23,8''].  

Der Poulnabrone-Dolmen ist ein Portal-Grab. Er liegt an einem der höchsten und unwirtlichsten Stellen des Burren im County Clare. Errichtet wurde er wahrscheinlich zwischen 3800 und 3200 v. Chr. Er ist der bekannteste der etwa 170 Dolmen Irlands und war, wie die meisten dieser Gräber ursprünglich durch einen Steinhügel bedeckt.  

Eine halbe Stunde schauen wir uns dieses Relikt aus der Jungsteinzeit an und drehen größere Kreise im es herum, wozu uns ein lange vermisster weiß-blauer Himmel geradezu einlädt.  

Aber um 14:15 Uhr geht es weiter. Wir umfahren auf der R 460 die östlichen Ausläufer des Burren Nationalparks im Süden und machen um 15:05 Uhr Halt an der Klosterruine Kilmacduagh [N 53° 02' 27,4'' W 008° 53' 13,0''].  

Das Kloster soll im 7. Jahrhundert vom Heiligen Colman MacDuagh gegründet worden sein. Die Anlage besteht aus erstaunlich gut erhaltenen Resten des Klosters und der Kirchen. Die eigentliche Attraktion ist jedoch der Rundturm aus dem 12. Jh. Und dieser ist wirklich etwas Besonderes. Diese immer freistehenden, schlanken Türme iroschottischer Kirchenbauten sind historische Wahrzeichen Irlands. Von den einst mutmaßlich 120 Rundtürmen sind noch etwa 65 erhalten, viele nur als Stumpf, manche noch nahezu vollständig. Außerhalb Irlands gibt es heute nur noch drei derartige Rundtürme, einen auf der Isle of Man und zwei in Schottland.  

Das irische Wort für diese Türme lautet cloigtheach, was „Glockenhaus" bedeutet und vermuten lässt, dass auch in Irland früher Glocken aus den oberen Fenstern geläutet wurden. Der Campanile von Kilmacduagh gehört zu den wenigen noch vollständig erhaltenen und ist mit 35 m der höchste unter ihnen – und er hängt etwa 60 cm aus der Senkrechten.  

Stadtkirche Kolbermoor

Die Reiseleiterin schleicht immer wieder in größer werdenden konzentrischen Kreisen um diesen Turm, der wie ein Bleistift in den jetzt völlig blauen irischen Himmel sticht und fragt sich womöglich, ob ihr der Küchenmeister heute Morgen Whiskey in den Tee geschmuggelt hat. Doch sie muss sich keine Sorgen machen: Der Turm ist so schief. Dabei ist es wirklich erstaunlich, wie alltägliche Dinge in der Ferne einen Reiz auslösen, den sie zuhause nie auslösen; wenige Kilometer östlich des Stammsitzes des Bairischen Blues, in Kolbermoor, steht ein sehr ähnlicher Kirchturm, dem sie noch nie auch nur aus den Augenwinkeln Beachtung geschenkt hätte. So haben offenbar Kirchtürme nicht auszusehen; es sei denn in Irland, und zwar solche aus dem 12. Jh.  

Befremdlich sind dafür wieder einmal die leidigen Höhenbegrenzungen, die so häufig über den Parkplätzen solcher Sehenswürdigkeiten angebracht werden: keine Einfahrt über zwei Meter. Das hat sicher auch etwas damit zu tun, dass man die Traveller von diesen Parkplätzen fernhalten möchte, führt jedoch dazu, dass die Reisebusse überall abgestellt werden, wo ausreichend Platz ist, und das ist häufig genug direkt vor der Einfahrt zum Parkplatz, weswegen dann auch PKWs draußen bleiben müssen wie der Hund vor der Metzgerei.  

Um 15:30 Uhr fahren wir weiter und machen um 16:50 Uhr einen kurzen Fotostopp in Shannonbridge, weil die Fotografin meint, auf das Motiv dieser Brücke über den Shannon nicht verzichten zu können [N 53° 16' 44,3'' W 008° 02' 58,0'']. Für den Chauffeur bedeutet das eine innerstädtische Kurbelei bis an die Grenze zur Schulterluxation. Immerhin sorgt der immer noch weiß-blaue Himmel mit seinen 17 °C für anhaltend gute Laune. Hat hier irgendjemand etwas von Abreise und Abbruch gemurmelt?  

Wir setzen unsere Reise fort und sind schon zehn Minuten später in der Klosterruine von Clonmacnoise. Wir sind allerdings etwas spät dran, weil die Schranken zum Parkplatz um 17:30 Uhr geschlossen werden und wir dann nicht mehr rauskämen. Die Dame an der Rezeption empfiehlt dem Chauffeur umzudrehen und gleich neben der Einfahrt den Parkplatz an der Schule zu benutzen [N 53° 19' 30,8'' W 007° 59' 14,6'']. Jawoll, wird gemacht.  

Da wir eigentlich nur einen kurzen Rundgang über die Anlage planen, ohne Video und Führung, bietet sie uns zweimal den Studententarif an, aber wir sind ja Heritage-Mitglieder und werden somit auch hier kostenlos durchgewunken.  

Die Geschichte der Anlage geht in das Jahr 548 zurück, als der Hl. Ciarán hier ein Kloster gründete, allerdings kurz darauf verstarb und den Erfolg seiner Bemühungen nicht mehr erleben durfte. Denn bis ins 12. Jh. hinein entwickelte sich Clonmacnoise zu einem geistlichen und geistigen, aber auch handwerklichen Zentrum Irlands. Viele, noch heute bekannte Schriftstücke weisen auf die Bedeutung des Klosters hin. Das lag nicht zuletzt an der idealen Lage am Ufer des Shannon und an der Kreuzung mehrerer Straßen. Außerdem liegt der Ort nahe des geografischen Mittelpunkts der Insel.  

Das langsame Sterben des Klosters begann mit den Wikingern, ihnen folgten die Normannen, um es zu plündern und zu brandschatzen, wobei über 100 der zum Kloster gehörenden und umliegenden Gebäude abgefackelt wurden. Die Normannen bauten auch eine Burg gleich neben dem Kloster, von der allerdings erheblich weniger übrigblieb als vom schon ziemlich zerfallenen Kloster. 1552 versuchten die Engländer, sich des Klosters zu bemächtigen, scheiterten aber 100 Jahre lang am massiven Widerstand der Bewohner. Dem machte Oliver Cromwell ein Ende, der Irland für die Krone zurückeroberte und bei dieser Gelegenheit auch Clonmacnoise den Todesstoß gab. Seither verfiel die Anlage.  

1877 wurde sie zu einem National-Monument. Die letzte große und späte Ehrung ließ Papst Johannes Paul II dem Kloster zuteilwerden, als er anlässlich seines Irland-Besuchs 1979 eine Messe vor 30.000 Gläubigen in den Ruinen des Klosters las. Dafür wurde extra ein neuer Altar errichtet.  

Der chronisch lästernde Chronist ist dagegen überzeugt, dass die Hunderte in allen Windrichtung geneigten und fast umgefallenen Grabsteine und Kreuze auf diesen Besuch zurückzuführen sind. Es ist ja auch eine Schnapsidee, 30.000 Menschen auf diese Anlage zu lassen. Denen können doch keine altersschwachen Grabsteine standhalten, die müssen doch alles niederwalzen!  

Trotzdem lohnt der Besuch (was in den Videos etc. geliefert wird, können wir nicht beurteilen), schon wegen eines weiteren, bestens erhaltenen Rundturms aus dem 11. Jh., der allerdings nur klägliche 18 m aufweisen kann, dafür aber nicht unter der Last seiner Jahre und seines Gewichts aus dem Gleichgewicht gerutscht ist.  

Wenn man nur durch die Ruinen des Klosters streift, ist man schnell durch, deswegen verlassen wir Clonmacnoise um 17:40 Uhr wieder.  

Um 18:15 Uhr fahren wir in Ballykeeran am Lough Ree Camping vor [N 53° 26' 54,9'' W 007° 53' 28,3''] und bekommen trotz guter Befüllung wegen des anstehenden Wochenendes einen Platz. 28 € bezahlen wir mit der Internationalen Campingcard (sonst 31 €). Wir sind jetzt nahe dem geografischen Mittelpunkt Irlands, den man in Athlone, nur rund fünf Kilometer südlich gelegen, verortet. 

Seit langem durften wir uns heute wieder über einen richtig schönen Tag mit weiß-blauem Himmel und 17 °C freuen. Es geht uns auch gleich viel besser. Von Abreise ist keine Rede mehr.  

Die Mädels bekommen noch einen Spaziergang und ein Bad im See und wir anschließend kalte Nudeln.  

Der Samstagmorgen begrüßt uns mit einem Strahlen, dem wir uns nicht entziehen können. Überredet: Wir bleiben noch einen Tag. Morgen haben wir zwar einen Muss-Termin, aber die gut 100 Kilometer dorthin schaffen wir morgens locker rechtzeitig. Na gut: Ein wenig früher als sonst müssen wir dann schon aus den Federn.  

Der Campingplatz hat Charme, gleich der See für die Mädels vor der Tür und die kleinen Entenscharen auch, die uns umlagern, in der Hoffnung, dass etwas für sie abfällt. Wir stehen auf festem Grund mit Wiese drumherum, alles sehr einladend, nur die anderen Camper… Nicht all, nein, aber die wenigen, die den Eindruck stören.  

Es ist Wochenende und das bedeutet auf den meisten Campingplätzen viel Betrieb. Aber so viel ignorante, sogar rücksichtslose Camper wie hier haben wir selten erlebt. Da wird zwischen den Womos, Zelten und Caravans, die alle kunterbunt durcheinander stehen, mit den Kindern Ball gespielt, Hunde laufen unkontrolliert überall herum und von allen Seiten latscht einem jeder durchs Wohnzimmer. Es sind vor allem die jungen Familien, die in dieser Hinsicht nicht nur uns auf den Geist gehen, weil sie ganz offensichtlich für sich die Lufthoheit über den ganzen Platz beanspruchen. Wir haben oft diese Wochenendausflügler erlebt, die anscheinend meinen, ihre Verklemmungen der Arbeitswoche durch grenzenlose Ausgelassenheit am Wochenende lösen zu müssen. An solchen Tagen rufen wir unsere Mädels nicht zur Ordnung, wenn sie herumkeifen, heute dürfen sie, was im übrigen neben all den anderen Keifern nicht einmal negativ auffällt.  

Das ist alles ein wenig nervend, aber deswegen lassen wir uns weder den Tag noch unseren Entschluss verderben: wir bleiben.  

So genießen wir diesen Tag nach einem ausgedehnten Frühstück, lassen die Sonne und den blauen Himmel für gute Laune sorgen und den Tag verstreichen.  

Abends grillen wir uns einige Chickenwings und sind mit der Welt zufrieden; man lernt viel Gelassenheit, wenn man zu lassen lernt.  

Sallins (Canine Country Club) / Robertstown
Cliffs of Moher / Doolin