Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Cliffs of Moher / Doolin

Cliffs of Moher

Mittwoch, 25.5.2022

Unser heutiges Ziel liegt gleich um die Ecke: Wir haben also Zeit.  

Wir gehen zum Frozen Spoon, eine kleine Bar im Ort, frühstücken. Die Reiseleiterin entscheidet sich für ein Schinken-Käse-Sandwich, der Chronist für einen Scone mit Cream und Jam, wobei hier Cream als Butter zu verstehen ist. In UK kommt bekanntlich Clotted Cream auf den Scone, doch darüber machen sich die Iren nur lustig: Sie schmieren Double Cream drauf, was nichts anderes als die denkbar fetteste Sahne ist. Aufgeschlagen ist die Kalorienbombe so kompakt wie Clotted Cream, aber eben Irisch und nicht Britisch. Wollen doch mal sehen, wer sich den gehaltvolleren Brotaufstrich leisten kann. Aber, wie gesagt, im Frozen Spoon versteht man unter Cream einfach nur Butter.  

Danach sehen wir uns ein wenig im Ort um und stoßen auf ein kleines Museum: The Music Makers of West Clare. Da wollen wir rein. Die kleine Sammlung gibt einen sehr aufschlussreichen Überblick über die Geschichte der musikalischen Entwicklung in West Clare, über die Entwicklung der Instrumente, auch, wie sich die Instrumentalisierung änderte, und stellt die bekanntesten Protagonisten der neuen irischen Volksmusik vor, allen voran den genialen Willie Clancy. Wir sind die einzigen Besucher, bekommen Videos zu sehen, die die Geschichte der traditionellen irischen Musik nachzeichnen und können natürlich auch ausgiebig plaudern; der junge Mann, der hier seinen Dienst versieht, freut sich über jeden Kunden, dem er Auskunft geben kann. Viele sind es sicher nicht. Für denjenigen, der sich für die traditionell irische Musik wirklich interessiert, ist das Haus eine Fundgrube, alle anderen sollten einfach vorübergehen. 

Die Reiseleiterin hat eine Idee. Sie hat um die Ecke einen Friseur ausgemacht, dort wolle sich nach einem Termin fragen und sich verschönern lassen. Währenddessen könnte doch auch der Chronist, gleich dort drüben, beim Barber, bei Dapper Dan's… wäre das nicht ein guter Deal? So tapert der Chronist zu Dapper Dan's und fragt nach einem Termin, der zeigt auf die Bank neben dem Eingang: Termine gibt es nicht, man wartet. Einer sitzt im Stuhl, einer wartet, das lässt sich vermutlich einrichten. Während also der Chronist auf der Wartebank des Barbiers von Miltown Platz nimmt, macht sich die Reiseleiterin auf, um einen Termin für ihren Pumuckl-Wuschel zu bekommen.  

Als der Chronist kurz nach 13 Uhr frisch gestylt und vom Barbier von Miltown durchaus respektvoll beschnitten wieder beim Franz auftaucht, trägt die Reiseleiterin immer noch Pumuckl: Der nächste Termin wäre erst übermorgen frei und den anderen Damengestalter, den es hier geben soll, habe sie nicht gefunden. Tusch!

So aerodynamisch wie seit dem spanischen Mijas nicht mehr, setzt der Chauffeur seinen Franz um 13:45 Uhr in Bewegung, um Miltown Malbay zu verlassen. Wir legen einen kurzen Stopp bei SuperValu um die Ecke ein und fahren um 14:15 Uhr weiter – einem irischen Höhepunkt entgegen.  

Wenn man Irlandbesucher oder solche, die es werden wollen, fragt, was unbedingt auf dem Tourplan stehen muss, kann man sich darauf verlassen, dass auf ihm Dingle vermerkt ist, der Ring of Kerry selbstverständlich auch, eventuell Achill-Island oder Dublin (Hauptstadt sollte sein, oder?), Galway vermutlich noch, ganz sicher findet man aber immer die Cliffs of Moher. Steil ins Meer stürzende, von Meerschaum umspülte Klippen müssen sein, und dramatischere als die von Moher soll es in Irland nirgendwo geben.  

Der Chauffeur nörgelt: genug Klippen gesehen, kaum zu übertreffende Klippen gesehen, und jetzt in die Hölle des irischen Pauschaltourismus…? Die Reiseleiterin besteht auf ihre Planungshoheit, die in peripheren Fällen zwar diskutabel sei, nicht aber in zentralen. Falls die Cliffs nicht den Erwartungen entsprechen sollten, hätte deren Besuch wenigstens darüber Klarheit verschafft, und das sei immer noch besser als hinterher einem etwaig verpassten Großerlebnis nachzuheulen. Es ist zum Heulen.  

Der Chauffeur richtet weisungsgemäß die Franzennase nach Norden und strebt, immer an der Küste entlang, den irischen nationalheiligen Klippen entgegen.  

Kurz vor 15 Uhr kommen wir dort auf dem Besucherparkplatz an [N 52° 58' 21,4'' W 009° 25' 20,6'']. Für einen außersaisonalen Mittwoch ist hier reichlich Betrieb, wenn auch nicht so viel, dass der Chronist Platzangst bekommt. Wer die Cliffs besuchen möchte, sollte unbedingt wissen, dass der Besuch in drei Zeitscheiben über den Tag hinweg aufgeteilt ist: vormittags, nachmittags und abends. Daran sollte man sich unbedingt halten und seinen Besuch im Internet vorbuchen, denn meistens sind die Klippen schon Tage vorher ausverkauft. Heute darf man auch als Sponti klippen, was nun auch wieder nicht unbeanstandet bleibt, weil die reiseleitende Schwäbin einmal 12 € und einmal 10 € abbuchen muss, was sich auf 22 € summiert. Bei Vorabbuchung hätte sie nur 14 € für uns beide berappen müssen, eine unverzeihliche Nachlässigkeit für eine Reiseleiterin, die so eifersüchtig über ihre Kompetenzen und Zuständigkeiten wacht.  

Wir nehmen die Mädels an die lange Leine und streben den unvergleichlichsten Klippen der Welt entgegen. Der Weg hinauf zum zentralen Viewpoint ist breit und soll vermutlich eine gewisse Majestätik vermitteln. Er wirkt wie der lange Weg von der Tür eines Chefzimmers zu dessen Schreibtisch, je großmächtiger der Chef, desto länger und einschüchternder der Anlauf.  

Es sind zwei Dinge, die unser Vordringen zum „Gipfel" der Cliffs beeindrucken und behindern: der Wind und die Hundeliebhaber. Der Wind geht uns frontal an – und die Hundekuschler auch. Iren drücken sich nicht herum, sondern bauen sich frontal, wie der Wind, vor uns auf: ‚Sorry, what kind of breed is this?' Und wir beten wieder das Hohe Lied vom Hovawart herunter, seine Bestimmung, seine Launen, seine Unarten und seine Unvergleichlichkeit, im Sekundentakt von herzschmelzenden „gourgeous, amazing, lovely und beautiful"-Schmachtern unterbrochen. Und weil sich die Mädels das Fell geduldig polieren lassen, bekommen sie auch noch ein „and so well behaved" mit auf den Weg. Ach, du arme Hedda, bei deiner nächsten Niederkunft solltest du mindestens 35 Eier legen, um wenigstens die irische Käuferschaft zu befriedigen.  

Schon auf dem Weg zum großen View-Point auf die Klippen müssen wir unseren Fortschritt fünfmal für Rasseporträts unterbrechen. Doch dann – endlich – der Anblick der unbeschreiblichen Cliffs of Moher. In der Tat stehen sie mächtig da, oder wie es im „Watzmann" heißt: „groß und mächtig, schicksalsträchtig". Nur einzigartig sind sie halt nicht, schön schon, bestimmt auch einen Besuch wert, aber sie haben eben auch mit der Konkurrenz aus Schottland und Portugal zu leben, die sich keinesfalls neben ihnen verstecken muss. Nur dürfen diese ganz ohne vorgeschaltete Massentourismus-Industrie schön sein.

Der Hovawart-Enthusiasmus geht dabei unvermindert weiter, man könnte fast meinen, all die Leute sind hierhergekommen, um unsere Mädels in die Arme zu nehmen, nicht um die Klippen zu bestaunen. Vielleich verbirgt sich dahinter gar eine famose Geschäftsidee: „Give me Mohair. Fünf Minuten kruscheln, macht sogar Todgeweihte froher…"  

Ein US-amerikanisches Piano-Pärchen würde sehr wahrscheinlich eine Dauerkarte auf Lebzeiten erstehen, so entzückt sind sie und geraten nahezu außer Kontrolle, als sie unsere schwarzen Madonnen sehen und kuscheln dürfen. Sie schwelgen so in Glückszuständen, dass wir ihnen anbieten, sie mit ihnen zu fotografieren, was sie sich nicht zweimal sagen lassen. Noch nie haben wir so viel Glück wegen zweier Hunde erlebt, wie bei diesen beiden. Der Chronist ist sich fast sicher, dass die Liebhaberin, noch weit diesseits des Klimakteriums, nahe am Klimax ist. Damit hätte sich der Besuch der Cliffs wenigstens für sie gelohnt.  

Doch wir müssen weiter. Wir wandern mit und gegen den Besucherstrom den Klippenweg entlang, der so schmal ist, dass sich das Vergnügen mit den dauergekuschelten Mädels in Grenzen hält, aber der Blick – der Chronist ist einsichtig – den Aufwand lohnt, allerdings sehr geschmälert durch den nun einsetzenden Regen. Als Resümee, als wir den Cliffs of Moher, vom Wind ge- und vom Regen vertrieben, den Rücken kehren, geben wir zu Protokoll: Die Klippen sollte man besuchen, weil sie beeindruckend sind. Aber die Welt, sogar Europa, hat Gleichwertiges im Angebot, das man nicht Tage im Voraus buchen muss.  

Um 16:30 Uhr verlassen wir die Moher-Klippen wieder, nicht ohne vorher noch den Parkplatzwächtern eine kleine Hovawart-Lektion erteilen zu dürfen. Wir sind fast sicher, dass die uns noch in zwei Jahren, wenn wir auf ihren Parkplatz rollen, wiedererkennen und durchwinken.  

Einige wenige Kilometer nordwärts müssen wir noch, bevor wir uns von den Eindrücken entspannen dürfen. Weniger entspannt dürften die Radrennfahrer sein, die uns bei diesem Sauwetter den Berg hinauf entgegenstrampeln. Das sind keine Profis, sondern zum Teil in die Jahre gekommene Amateure, die sich abquälen und herzlich bedanken, dass wir an den Straßenrand fahren und ihnen den Weg frei machen. Meine Güte, warum tut man sich so etwas an, und ausgerechnet in Irland, auf diesen Straßen und bei diesem Wetter?  

Wir steuern den Parkplatz im Hafen von Doolin an, wo wir um 17 Uhr ankommen. Dort kann man die Nacht über stehen, aber wir wissen nicht, ob wir das wollen. Einerseits ist der Platz nahezu voll und andererseits ist er vielfach so schräg, dass man das kaum ausgleichen kann. Für uns würde das bedeuten, dass wir, wenn sich die Belegung lichtet, mehrere Positionen abtesten müssten, ob sich welche für eine angenehme Nacht eignen.  

Bei der Anfahrt auf den Hafen haben kurz davor rechterhand einen Campingplatz entdeckt, der offenbar noch nirgendwo beschrieben ist, jedenfalls ist er uns bisher nicht aufgefallen. Dort fahren wir hin und finden ihn perfekt. Es ist Nagle's Doolin Caravan & Camping Park [N 53° 00' 59,8'' W 009° 24' 02,9'']. Der Platz ist tatsächlich neu, das sieht man überall: Asphaltierte Stellflächen mit frischem Grün dazwischen, große und sehr saubere WCs und Duschen (1 €), V+E kompakt und intelligent an einer Stelle, Waschmaschinen und Trockner, und der Ort ist in 15 Minuten zu Fuß zu erreichen. Mehr brauchen wir nicht; hier sind wir richtig und bezahlen dafür 28 €, Strom inklusive. Für den ekligen Sprühregen kann der Platz nichts.  

Die Dogwalkerin führt ihre Kuschelmonster aus und um 19:30 Uhr nehmen wir den 15-min-Weg nach Doolin unter die Füße, um in Gus O'Connor's Pub zu speisen, eines der authentischsten und bekanntesten Pubs Irlands, das auch fast immer Live-Musik im Angebot hat.  

Auch heute gibt es wieder eine Vorspeisenportion Seafood Chowder für uns beide, der ebenso kräftig über die Lippen geht wie alle seine Vorgänger. Anschließend ist uns heute nach Muscheln: Zwei große Töpfe Miesmuscheln in Sahnesoße, wie wir sie aus Belgien kennen, dazu Fritten, die hierzulande immer noch Chips heißen. Ein Gin Tonic, ein Red Ale und zwei Guinness runden den Abend ab und kosten 59 €.  

Aus dem Nebenraum klingt Irisches, Gefiedeltes und Gezupftes, was jedoch stark nach Übungseinheit klingt, bei der man nicht recht weiß, ob und wann es richtig losgeht. Als Ersatz und musikalische Schutzpatrone hängt dafür über dem Kopf der glücklichen Reiseleiterin ein Bild der Dubliners aus ihren besten Zeiten. Die einen bevorzugen ein Marienbild, die anderen fünf zottelbärtige Kerle aus den frühen Siebzigern. Der Chronist, sonst keiner flotten Marie abhold, gibt im vorliegenden Fall auch den Kerlen den Vorzug.  

Und wenn die Musik die Aufmerksamkeit nicht absorbiert, tut es die Nachbarschaft. Am Nebentisch speist ein sehr sympathisches junges Paar aus Cleveland (Ohio), und bald sind wir mit ihnen in einem regen Gedankenaustausch. Ja, Freunde, das geht tatsächlich: Man kann sogar mit Amis Gedanken austauschen! Und wie! Mutmaßlich mit etwa einer guten Hälfte von ihnen. Die Profession des jungen Mannes bleibt im Laufe des langen Gesprächs im Dunkeln, aber sie ist Tierärztin und Hundetrainerin. Zudem haben sie Greyhounds. Jetzt ratet mal alle zusammen, worum sich unsere Gesprächsrunde dreht. Genau: Um Hunde. Um Erziehung und Training, um Sofawarte und Bettwanzen, um Qualzuchten und Qualitätszuchten. Bei dieser Gelegenheit erwähnen wir, dass wir Hovawarte züchten und plaudern ein wenig über die Vorstellung, die wir von Hundezucht haben und nach welchen Kriterien wir unsere Käufer wählen und, und… und die Veterinärin liegt uns vor Glück beinahe zu Füßen, weil sie vieles von dem, was wir umzusetzen versuchen, in den USA komplett vermisst. Man ahnt ja kaum, wie viele Knoten so ein Gesprächsfaden haben kann, in denen man sich verheddat und hängenbleibt. Es ist eines dieser Gespräche und eine jener Bekanntschaften, die man nie mehr vergisst. Freunde, wenn alle Amis so wären wie diese beiden, würden wir uns noch heute Abend in ein Boot setzen und über den Atlantik rudern. Dort würden wir dann das Piano-Pärchen von den Cliffs ausfindig machen (wir nennen es einfach politisch völlig verantwortungslos, aber von ganzem Herzen: Cliff & Mohair) und mit ihm eine WG gründen.  

Über die langen Gesprächsfäden wird es spät, bis wir Gus O'Connor's Pub wieder verlassen. Im Fastdunkeln und mit den Handyleuchten finden wir unseren Weg zurück und sind erst nach 23 Uhr wieder bei den Mädels.  

Es regnet, es ist windig, wir sind nass und finden, dass 11 °C kaum ausreichen werden, um das Glück des Abends über die Nacht zu retten.  



Es stürmt und schüttet die ganze Nacht auf Donnerstag. Der Franz schwankt und tanzt wie ein Derwisch. Trotzdem beschließen wir in dieser Nacht, noch einen Tag zu bleiben. Was sollten wir sonst tun? An solchen Tagen bieten sich nur Museumsbesuche an, doch davon ist weit und breit nichts im Angebot.  

Dann ist es besser zu bleiben, zu waschen und zu schreiben. Und zu ruh'n, die Augen zu zu tun.  

Nach dem Frühstück sitzt der Chronist und schreibt, der eingemummelte Pumuckl bleibt – untätig. Aber sie kommuniziert mit der Waschmaschine und dem Trockner. Immerhin.

Von ihrem Nachmittags-spaziergang kommt sie in einer Verfassung zurück, die an einen Abbruch unserer Reise denken lässt, zumindest für Irland. Selbst die gelegentlich durch die Regen- und Wolkenwinde herübergrüßenden Cliffs of Moher können uns kaum milder stimmen.  

Es hat nur noch 10 °C, der Wind pfeift, man friert. Ganz langsam wird es zu wenig des Guten und Erhofften. So schön kann kein Land sein, dass man das auf die Dauer aushalten will.  

Doch noch geben wir nicht auf. Wir warten ab, was die nächsten Tage bringen werden. Bis Sonntag, an dem wir einen festen Termin haben, bleiben wir auf jeden Fall. Alles andere wird dann entschieden.  

Burren / Clonmacnoise / Ballykeeran
Loop Head / Miltown Malbay