Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Cheetah’s Rock

Cheetah’s Rock

Sonntag 27. / Montag, 28.3.2022

Am heutigen Sonntagmorgen wurden die Uhren auf Sommerzeit umgestellt, was bedeutet, dass der Chronist, als er um 6 Uhr aus dem Bett steigt, eigentlich bereits um 5 Uhr umtriebig ist. Es ist die Vorfreude, die ihn nicht mehr schlafen lässt und ihn die halbe Nacht mit einem Albtraum quälte.  

Der Sommer kommt hierzulande, wie der Frühling, nicht mit einem blauen, sondern mit einem grauen Band daher, und mehr als 6 °C hat er folgerichtig nicht in petto. Angesichts der zur Schau gestellten Form präseniler Bettflucht drückt die Reiseleiterin lieber nochmal beide Augen zu. Lange ist auch ihr dieses Glück nicht beschieden, denn heute müssen wir schon wieder vor unserer Zeit die Zelte abbrechen. Das Frühstück auf die Faust scheint langsam zur Norm zu werden.  

Um 9 Uhr verlassen wir den Campingplatz, und 27 km und 30 Minuten später stehen wir vor dem Tor der Finca El Alboroque, südlich von Toledo, unter Eingeweihten auch als Cheetah's Rock bekannt. Wir werden vom Hausherrn in Empfang genommen und über Ziehwege einen halben Kilometer über sein Grundstück gelotst. Als wir den Franz abstellen, parken wir auf einem rundum eingezäunten, unbewirtschafteten Grundstück von 6 ha – allein, nur in Gesellschaft von tausend Kaninchen. Das ist unser und der Mädel Reich für zwei Tage, Einsamkeit und scheinbare Grenzenlosigkeit inklusive. Wenn sie hier nicht genügend Entschädigung für die vergangenen, bewegungs- und freiheitsarmen Tage finden, finden sie sie nirgendwo mehr.  

Zum Kennenlernen werden wir ausgesprochen freundlich mit Kaffee und Tee begrüßt, plaudern ein Stündchen, bis es dann endlich rausgeht, ins Gelände – zu den Geparden. Wir sind an unserem anderen G-Punkt angekommen, dessen G für Geparden steht.  

Die Familie hat sich hier seit 20 Jahren ein Paradies nach ihren Vorstellungen geschaffen, dessen Mittelpunkt die Geparden sind. Vier von ihnen leben derzeit auf der Finca, die wir nun alle kennenlernen sollen. Doch bevor wir mit ihnen Freundschaft schließen dürfen, müssen wir erst das Einverständnis von Barney und Rocco bekommen, einem herzensguten Rottweiler und einem Deutschen Schäferhund, der auch zu nicht viel Bösem fähig scheint. Das würde sicher anders aussehen, wenn wir das Grundstück ohne das Einverständnis der Hausherren betreten hätten, so aber zeigen sie uns statt der Zähne nur ihre Zungen und heißen uns auf diese Art willkommen.  

Bernd und der Lachende Hans

Ein riesiges Revier für Erdmännchen passieren wir, so groß, wie es bestimmt kein Erdmännchen in irgendeinem Zoo der Welt vorfindet, um das der Hausherr sogar einen rundum laufenden Schützengraben gelegt hat, um Kameraschützen ihre Motive auf Augenhöhe präsentieren zu können. In verschiedenen Volieren turnen Blauelstern, eine Gruppe Dohlen, zusammen mit einem Kolkraben, zwei schräge Vögel demonstrieren auf Aufforderung des Hausherrn, warum man sie als Lachender Hans kennt. Eine Steinburg dient einem Steinkauz und einem Wiedehopf als Nistplatz, und eine Treppennatter wohnt nebenan sicher und wohlbehütet auf ihrem eigenen Grund und Boden. Für Hermeline, die demnächst in der Finca einziehen sollen, entsteht zurzeit eine Wohnanlage, die ihren Ansprüchen gerecht wird. Auf der Anlage möchte der Hausherr, Tierarzt und Klinikleiter im Ruhestand, die zwar bekannte, aber nie dokumentierte Pädophilie bei Hermelinen* mit Kameras dokumentieren.


Und dann werden wir endlich den Geparden vorgestellt. Noch warten sie in ihren Gehegen, aber wenn der Hausherr die Türen öffnet, sind sie schneller draußen als wir glauben können. Um uns scheren sich die beiden Weibchen, Sira und Nala, keine Sekunde, höchstens, dass sie einen flüchtigen Blick über die Schulter für uns übrighaben. Dann sind sie im Freigelände und fürs erste weg und aus den Augen. Ihr vordringlichstes Interesse liegt in der Kontrolle ihre Welt und der drumherum, das heißt, dass sie die Ränder ihres Reichs abpatrouillieren, und dabei haben sie reichlich zu tun: Sie herrschen über ein Reich von 8 ha, die „unser" Grundstück, auf dem der Franz und die Mädels warten, noch nicht einmal einschließen.  

Mächtige Felsen erleichtern ihnen die Kontrollarbeit und liefern den nötigen Über- und Durchblick. Nala und Sira sind fünf Jahre und wurden im Haus, aber von ihrer Mutter aufgezogen. Das bedeutet, dass sie zahm und an den Menschen gewöhnt sind, aber mit ihm nicht so vertraut sind wie die beiden anderen Geparden auf der Finca, Mansour und Kisha, die reine Handaufzuchten sind und schon bei unserer Annäherung schnurren wie Hauskatzen und sich zum Streicheln auf den Rücken rollen.  

Doch auch Sira und Nala sind im Gelände von ihrem Betreuer (fast) immer erreich- und ansprechbar; ein Ruf, ein kurzer Pfiff, und schon kommen sie herbei, nicht aus Gehorsam, sondern weil sie wissen, dass immer etwas für sie abfällt: Geparden sind eben auch nur Hunde...  

Bis 13 Uhr verbringen wir mit den beiden Damen draußen, fotografieren sie und stellen mit ihrer Unterstützung schöne Bilder fürs Fotoalbum, die unser Gastgeber mit unseren Motiven zusammen organsiert, die meist geduldig und welterfahren mitspielen und auf Bitte und mit Hilfe nahrhafter Zuwendung sogar mit uns gemeinsam in die Kamera lächeln. Je länger wir mit den beiden zusammen sind, desto mehr lernen wir über sie und von ihnen. Sira ist die elegantere und auch umgänglicher der beiden, die sehr geduldig alles mitmacht und auch mal kuschelt, wenn die Chemie stimmt. Trotzdem ist sie ein Gepard und hat gelegentlich gerne mal Unsinn im Sinn. Jacken beispielsweise oder etwa den Fotorucksack sollte man besser nirgendwo ablegen: Die machen eine Tour durchs Gelände und ins Ungewisse. Geparden sind nämlich neugierig und verspielt.  

Der Chronist macht diese Erfahrung mit Sira gleich zweimal. Einmal sitzt sie nach einem gelungenen Shooting schräg hinter ihm und möchte gerne testen, ob Engelbert-Strauss-Jacken tatsächlich so widerstandsfähig sind, wie immer behauptet wird. Ein satter Griff an die linke Schulter, ein deftiger Zug am Textil, dann lässt sie wieder los, weil sowohl ihr Taktgeber wie auch das Opfer wenig amused sind und sie zur Ordnung rufen. Die Jacke hat den Härtetest bestanden und die linke Schulter des Opfers trägt nun eine Kriegsverwundung in Form eines kleinen blauen Flecks.  

Doch Sira scheint vom Ergebnis noch nicht so recht überzeugt. Später greift sie bei einer ähnlichen Gelegenheit noch einmal kräftig zu, diesmal allerdings den Kragen der Jacke und geht auf Zug. Die Jacke hält immer noch unbeeindruckt Stand, nur dem Opfer fehlen jetzt im Nacken einige Haare. Mit der Reiseleiterin versucht sie das Spiel auch noch einmal, allerdings hat sie ihr Interesse an unbeindruckten Jacken anscheinend verloren und testet lieber, ob deren Haare echt oder eine Perücke sind. Ein kleines Büschel Haare gibt die Antwort. Schuldbewusstsein lässt die Täterin nicht erkennen, schließlich sind wir in ihrem Reich und sollten dementsprechend Geparden-fest sein.  

Geparden, auch wenn sie zahm und an den Menschen gewöhnt sind, sind dennoch Raubtiere mit Charakter und Launen. Solche kleinen Übergriffigkeiten sind völlig harmlos, im Umgang mit den Tieren besteht keinerlei Gefahr. Auch in der freien Wildbahn greifen Geparden den Menschen niemals an, von ihnen geht keinerlei Gefahr aus. Geparden gehen dem Menschen und der Gefahr aus dem Weg. Auch das Fauchen und Zähnezeigen der Geparden auf der Finca sind keine Drohgebärden oder Aggression, sondern Unsicherheit und das Signal, dass ihnen die Situation jetzt gerade zu kuschelig ist. Sie gehen auf Distanz, und die Situation ist bereinigt.  

Nala ist die kompaktere, autonomere und dominantere der beiden. Sie wahrt mehr Distanz und lässt sich nicht gerne streicheln. Sie ist es auch, die sich mehr für ihr Reich und eine Karnikelbrotzeit interessiert und ständig auf Patrouille ist, während Sira sich auch für etwas Mufflon-Gulasch im Austausch gegen eine freundliche Pose begeistern kann.  

Wir erleben glücksbringende Stunden mit den beiden, die nur noch durch ein Wetter glücksspendender sein könnte, das uns nicht frieren lässt. Es ist windig und kühl und ganz und gar nicht spanisch.  

Von 13 Uhr bis 16:30 Uhr machen wir alle Siesta, und dann gehen wir mit Sira und Nala noch einmal raus, beobachten sie, wie sie ihr Revier ablaufen, auf den höchsten Felsen hocken und posieren wie Porzellangeparden zuhause bei Derard Gepardieu. Und als ob unser leises Ansinnen an den Himmel doch noch erhört würde, öffnen sich die Wolken am frühen Abend und spenden uns das späte Licht der Savanne. 

Wenn die beiden Gepardinnen länger nicht dem Ruf ihres Masterminds folgen, hat das immer einen triftigen Grund. Raus aus ihrem Gehege können sie nicht, also ist die Ursache innerhalb zu suchen. Unter üblichen Umständen ist es kein Problem, die Geparden zu sehen, aber nach dem vielen Regen schießt die Vegetation fettgelb ins Kraut (Doppelsamen) und ist teilweise bereits kniehoch, keine idealen Bedingungen, Geparden zu sichten. Schließlich entdecken wir sie nahe dem Zaun: Sira hat ein Kaninchen erlegt und zerlegt es nun fachmännisch. Nala sitzt nahebei und schaut neidisch, doch Jagderfolg wird selbst vom dominanteren Partner respektiert. Innerhalb nicht einmal einer Viertelstunde ist das Kaninchen mit Haut und Haar verspeist, chirurgisch herausgeschnitten bleiben Dickdarm und Magen übrig. Damit muss sich nun Nala zufriedengeben. Und ein Stückchen von einem Bein hat Sira auch noch liegengelassen. Nicht viel für eine tapfer wartende Freundin, zumal auch sie den Darm verschmäht. Täglich findet auf diese Weise mindestens ein Kaninchen den Eingang in den Karnikelhimmel.  

Wenn uns die Vegetation nicht die Sicht versperren würde, könnten wir diese Jagden auch verfolgen, aber unter den gegebenen Umständen wäre es reine Glückssache. Spektakulär wäre es schon, aber wir sind mit dem zufrieden, was uns Sira und Nala bisher anbieten. Andererseits ist eine Kaninchenjagd für einen Geparden bestenfals ein Aufwärmprogramm. Geparden sind die schnellsten Landsäugetiere, erreichen locker 70 km/h, in der Spitze auch kurz 100 km/h. Wer Gazellen im Vollsprint zur Strecke bringt, greift sich ein Kaninchen im Vorübergehen. Für alle, die noch ein wenig mehr wissen wollen: Geparden haben ein sehr kleines und eigentlich schwaches Gebiss und auch keine mächtigen Pranken, Geparden würgen ihr Opfer zu Tode. Auch diese Herausforderung reicht bei Kaninchen kaum zum Gesellenbrief. 

Als wir zu unseren Mädels zurückkommen, sind die eindeutig zu wenig ausgelastet und rasten dafür entsprechend aus. Gelände gibt es reichlich, um ihrem Bedürfnis nach angemessener Bewegung gerecht zu werden. Wer auf 6 ha nicht genug Bewegung bekommt, ist selber schuld. Die beiden lassen sich nichts nachsagen und toben sich kräftig aus. Dass sie bis zu unserer Abreise alle Karnikellöcher kartiert und markiert haben, ist dennoch eher unwahrscheinlich.  


Montags sind wir schon um 9 Uhr im Gelände, heute jedoch erst mit Hedda, die einige Stunts nachstellen soll, die die Gepardinnen gestern mit uns gezeigt haben. Heute agiert der Chronist an der Kamera, gestern konnte die Reiseleiterin beweisen, dass sie sich zu einer sehr brauchbaren Fotografin entwickelt hat. Hedda macht ihren Job erstaunlich gut und uns stolz. Fianna müssen wir mit zehneinhalb Jahren nicht mehr als gescheiterte Bergziege vorführen. Das hat sie nicht verdient, aber Hedda soll sich ruhig noch ein paar Sporen verdienen.  

Nachdem diese Szenen zu aller Zufriedenheit abgedreht sind, kommen Nala und Sira wieder zu ihrem Einsatz. Das Programm ist das gleiche wie gestern: Geparden bestaunen und fotografieren und oft genug das Fotografieren über das Staunen vergessen.  

Die Siesta von 13 Uhr bis 16:30 Uhr verbringen Fianna und Hedda allein in ihrem Reich: Fianna liegt glücküberflutet vor dem Franz, pennt und räkelt sich wie Madonna in ihrem besten Zeiten. Nur manchmal lässt sie sich von Hedda animieren, sie zu begleiten. Hedda dagegen ist durchgehend ruhe- und rastlos. Meist erkennen wir nur einen schwarzen Punkt am Horizont, der sich mal kurz erschöpft und, mangels Jagderfolg, frustriert unter dem Franz abkühlt, um schon fünf Minuten später wieder auf Hatz geht. Wenn das unser Grundstück wäre, hätte Hedda ihre Lebenserwartung vermutlich bereits überschritten. Unseres Wissens hat jedoch während unserer Anwesenheit kein Kaninchen seine natürliche Lebenserwartung wegen Hedda unterschritten.  

Nach der Siesta gehen wir mit Kisha und Mansour ins Gelände und erleben sofort den Unterschied zwischen Hausaufzuchten und Handaufzuchten. Die beiden hängen uns wie Hunde an den Haken, lassen uns kaum aus den Augen, schnurren sonor und pausenlos wie ein Achtzylinder. Ein gewichtiger Unterschied ist allerdings zwischen den beiden festzustellen: Kisha ist immer da und zu jeder Kuscheleinheit bereit, Mansour ist ein hin- und hergerissener Kater. Kaum ist er mit Kisha unterwegs, zieht es ihn zu Sira und Nala an deren Gehege. Dann sucht er wieder Kishas Nähe. Genau genommen ist er ständig auf dem Weg zum Potte, zu dem er aber nie kommt. Eigentlich hätte er freie Auswahl zwischen den drei Schönheiten, wie einst Paris die Wahl zwischen Hera, Athene und Aphrodite hatte. Doch anders als Paris ist er in der misslichen Lage, dass nicht er entscheidet, sondern die Mädels. Und solange die keine Lust auf Kerl verspüren, kann er zwar den Kavalier und Klavier spielen, ist aber letztlich nur ein Alleinunterhalter.  

Um das zu verstehen, sollte man wissen, dass Geparden in der Natur einzelgängerisch leben und die Kätzinnen, wenn ihnen danach ist, den Rüden aufsuchen. Das ist ein entscheidender Grund, warum Geparden-Nachzuchten in Gefangenschaft eine große Seltenheit sind. Vor vielen Jahren gab es Nachwuchs im Zoo von San Diego – und eben hier, auf der Finca. Niemand kennt aber die genauen Bedingungen, wann Gepardendamen Lust auf einen Kater haben. Möglicherweise haben wir es mit einer ähnlichen Konstellation zu tun, wie wir es aus der Hundezucht kennen, dass die dominantere Hündin sich mit keinem Rüden verpaart, den sie sehr gut kennt oder gar mit ihm zusammenlebt. Leidvolle Erfahrungen der anderen Art kennt man auch, aber das hängt stark vom Innenverhältnis der Partner ab.  

Unter diesen Umständen haben wir nachmittags, als das Wetter immer blauer und angenehmer wird, ständig eine schnurrende und kuschelnde Katze bei uns und einen rastlosen Kater auf der Walz.  

Als wir die beiden wieder in ihr Gehege zurückbringen, sind wir glücklich und dankbar, diese Gelegenheit bekommen zu haben, zwei Tage mit Geparden verbringen zu dürfen. Dem Chronist geht es wie einem Groupie, das von ihrem Idol einen Kuss bekommen hat und sich nun wochenlang nicht wäscht; irgendwann muss er die von Kishas Haaren überzogene Jacke in die Wäsche bringen, hilft ja nix. Aber erst irgendwann...  

Diese Nacht dürfen wir noch einmal auf unserem Karnikelkosmos verbringen und Hedda und Fianna sich vor dem Schlafengehen richtig austoben lassen. Die beiden strahlen Glück. Aus ihrem heutigen Paradies wird im Herbst eine Todeszone, die Killing Fields von Toledo. Dann wird das Gelände für die vier Schnellläufer geöffnet, und kein Kaninchen ist sich seines Lebens mehr sicher.  

Wir durften uns an diesen beiden Tagen einen Traum erfüllen, ähnlich wie ihn sich die Familie Heidenreich auf ihrer Finca erfüllt hat. Weltweit sind sie seit Jahren die erste Adresse, wenn es um Geparden geht, Fernsehen und Film haben sich um ihre Geparden gerissen (Stern-TV und fast alle Talkshow-Formate) und reißen sich immer noch um sie. Was wir hier zwei Tage erleben durften, ist Liebe und Leidenschaft, gepaart (gepard?) mit großem Sachverstand. Wir nehmen an, dass jetzt viele nachvollziehen können, dass uns 5 G völlig gleichgültig ist, wenn 2 G genügen, so viel Glück und Befriedigung zu verschaffen? Wenn man es eng sieht, hätte auch dieses eine G schon ausgereicht.  

Falls sich noch jemand an den Beginn dieses Beitrags erinnern kann, hat der Chronist dort einen Albtraum erwähnt, der ihn in der Nacht vor der Anreise quälte. Den dürfen wir unseren Verfolgern auf keinen Fall vorenthalten. Anders als das spärliche Wissen über das was uns auf der Finca erwartet, nämlich dass es dort Geparden zu sehen und zu spüren gibt, ist die Phantasie darüber hinaus nämlich nahezu grenzenlos.  

Der Chronist träumte, er sei mit seiner Reisebegleitung angereist, welche Bedingungen sie hier vorfinden würden, wussten sie nicht. Hunderte Menschen trieben sich in seinem Traum auf einem riesigen Gelände herum, schreiende Schulklassen mit überforderten Lehrern, Kindergartenbesatzungen mit ständig suchenden und sammelnden Erziehungsbeauftragten. An Biergarnituren machte man sich breit und bräsig, alles deutete auf Sommerfest im Zoo hin. Zwischen den Tischen wuselte Waldemar Hartmann mir Weißbiergläsern herum und aus dem Off erklangen unaufhörlich Ordnungsrufe mit Söderstimme. Die Reisebegleiterin war, ihrem Naturell entsprechend unentwegt flipp hier und flopp da, kontaktierend, organisierend und parlierend, nur nie dort, wo der Chronist inmitten der Menschenmasse ein Nahtoderlebnis hatte. Eine weibliche Person, einer Reiseführerin sehr ähnlich, sprach unentwegt auf die Menschen ein, informierte sie über Geparden, zeigte Filme, beriet und belehrte, warnte und gab Anweisungen. Als sich die Tore zu den Gepardengehegen öffneten, fand sich auch die Reisebegleiterin plötzlich wieder ein, und beide stellten mit Entsetzen fest, dass keine(r) den Fotorucksack bei sich hatte und keine(r) eine Ahnung hatte, wo der abgeblieben war. Sie machten sich auf die Suche, während die Masse das Allerheiligste flutete. Dort brach der Traum ab und der Chronist erwachte, ohne auch nur ein Gepardenhaar zu Gesicht bekommen zu haben.  

Und nun hat er gleich hunderte davon auf seiner Jacke! Wie unbezahlbar ist es, dass die Wirklichkeit oft so viel schöner ist als ein Traum. Das mögen alle jene bedenken, denen als einzige Vokabel für etwas unbeschreiblich Schönes nur noch das nichtssagende Wort „traumhaft" einfällt.  

Mit dem Ende dieses Tages kommt dem Chronisten die frühere Kindersendung „Pusteblume" in den Sinn, an deren Ende Peter Lustig die Kinder regelmäßig mit den Worten „Ausschalten, es kommt nichts mehr" aufforderte, das Gerät abzuschalten. Er hat das Gefühl, umkehren und nach Hause fahren zu sollen, weil ihn nichts Gleichwertiges mehr erwarten könne. Doch die Reiseleiterin hat noch Phantasie und Pläne. Schon am Donnerstag steht schon ein weiterer Besuch bei den Geiern im Nationalpark Monfragüe auf dem Programm (ist das nun 3 G oder gar 4 G?). Also: Nicht traurig sein, die Welt hat noch viel zu bieten.  

Wie bestimmt vielen aufgefallen ist, haben wir in diesem Beitrag weder die Adresse noch die Koordinaten der Finca El Alboroque vermerkt. Die Finca ist kein Ort für Lauftourismus, schon gar nicht für Sensationstouristen. Wer die Geparden besuchen möchte, kam das auf zwei Wegen in die Wege leiten. Die Tierfotografin Marion Vollborn bietet regelmäßig Fotoseminare auf der Finca an; über ihre Webseite kann man sich informieren und anmelden. Wer einen individuellen Besuch anstrebt, schreibt eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Und selbstverständlich geben auch wir Antworten auf alle Fragen, die wir beantworten können.  

* Weibliche Hermeline werden bereits im Alter von 14 Tagen, noch blind, nackt und außer einer stark vergrößerten Vulva ohne Geschlechtsorgane, von den adulten Rüden gedeckt. Nach einer Keimruhe von etwa einem Jahr wird der neue Nachwuchs geboren.  

Toledo
Salto del Gitano