Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Costa de Lavos

Fianna und Hedda in Costa de Lavos

Freitag, 1. / Samstag, 2.4.2022

Am 1. April kann man nicht einmal entspannt einige Nachtragsbilder von uns und den Geparden ins Netz stellen, ohne umgehend der Aprilbelustigung bezichtigt zu werden. Nahezu alle, die nicht im Reise-Chat sind oder diesen Blog lesen, bestätigen der Fotoredaktion außerordentliche Fähigkeiten im Umgang mit Photoshop. Allen, denen auch unsere händeringenden Dementis noch nicht glaubwürdig genug erscheinen, versichern wir an dieser Stelle noch einmal und für allemal: Die Bilder sind nicht photogeshopt, die Cheetahs sind echt, wir sind echt, die Szenen sind echt. Und falls jemand nun der Meinung ist, dass wir dann eben nicht ganz echt in der Birne seien, dann antworten wir: Das ist uns echt egal. Echt...  

Wichtig sind heute die Dinge, die das Leben lebenswert machen: ein blitzblauer Himmel, ein nachlassender Wind, ein Bäcker, der uns auf dem Stellplatz morgens mit Backwaren beliefert (die auch noch sehr gut sind) und keine Menschen an diesem Strand. Wir können Fianna und Hedda nach Herzenslust rennen lassen. Was machen die Stellplatz-Residenten eigentlich den ganzen Tag? Es ist doch auch sonst nichts geboten hier, was man in Anspruch nehmen könnte.  

Vielleicht fahren manche mit den Rädern nach Figueira da Foz, das wir, wenn wir nach Norden blicken, sehen können. Der Name bedeutet „Feigenbaum an der Mündung" (des Mondego), aber für die Portugiesen ist sie meist nur der „Feigenbaum": Figueira. Die Stadt hat knapp 10.000 Einwohner, und wenn wir an der Küste hoch- und ihre Silhouette erblicken, ahnen wir, dass die sicher nicht alle in den Hochhausburgen entlang dem Strand leben. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurde Figueira zu einem mondänen Seebad entwickelt. Seit in den 1920er Jahren die Spanier den Ort für ihren Badeurlaub entdeckten, lebt er fast ausschließlich vom Tourismus und seinem Casino. Genau so sieht das, von hier aus betrachtet, auch aus. Also nichts für uns, aber eventuell für andere. Und vielleicht ist das der Grund, warum sie sich nach mehreren Casinoaufenthalten kein Menü mehr für elf Euro in der „Perle des Ozeans" leisten können. 

Wir können das und kehren auch heute wieder dort ein. Als Tagessuppe kommt eine kräftige Fischsuppe auf den Tisch. Der Chronist entscheidet sich für Oktopusarme mit Pommes als Hauptgang (und hat ein sehr schlechtes Gewissen, wie immer, wenn er Oktopus isst), die Reiseleiterin wählt Schweinelendchen. Die süße Abteilung besteht aus einem Eistörtchen mit Himbeeren und einem Flan. Begleitet wird das Menü von einem kräftigen Vinho Verde, der, weil wir heute quasi schon Stammgäste sind, schon mal nachgeschenkt wird. Und zum Kaffee stellt uns der Chef noch einen Schnaps dazu. Und trotzdem kostet das Menü immer noch 11 €. Schade, dass die „Perle" morgen Ruhetag hat und wir nicht länger bleiben können; mit dieser Kostenrechnung könnte wir das Sabbatical der Reiseleiterin noch mindestens um drei Monate verlustfrei verlängern. Das scheinen heute auch andere für sich entdeckt zu haben, denn wir erkennen einige wenige Stellplatz-Residenten unter den Gästen, die jedoch wieder mehrheitlich von Portugiesen gestellt werden. Der Laden ist voll und brummt.  

Der 2. April ist ein Tag wie der 1., einer mit viel blauem Himmel und noch weniger Wind, Frühstücksservice vom Bäcker und einem menschenleeren Strand. Was macht man einem solchen Tag, der wegen der kaum 15 °C auch nicht zum Sonnenbaden einlädt? Man könnte am nachhängenden Reiseblog weiterarbeiten. Aber der Chronist leidet in diesen Tagen an einer spürbaren Schreibblockade. Was soll er denn auch schreiben? Es ist nicht die Ereignislosigkeit der Tage in Costa de Lavos, sondern die Ereignisschwemme der vergangenen Monate, die ihn lähmt.  

Wir erinnern uns: Gerade haben wir unser Bergfest gefeiert, die Halbzeit unserer Fahrt ins Blaue. Was steht aber an, wenn eine Bergmesse gelesen ist? Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Von da an geht`s bergab.  

Wir tun uns gerade tatsächlich ein wenig schwer mit der Vorstellung, dass nun weiterhin Highlights wie an der Perlenschnur auf uns warten. Delphine haben uns entzückt, Pferde nahe an der möglichen Perfektion zu Tränen gerührt, mit Geparden haben wir gespielt, Geiern haben wir eingeräumt, dass sie mindestens so viel Anspruch auf die Krone der Schöpfung haben wie wir, und sogar Affen sind wir begegnet, was uns nicht aus dem Sessel gehoben hat, weil man die auf Reisen häufig antrifft. Werden wir demnächst auf einem Wal reiten oder auf dem Rücken einer Wildgans, wie einst Nils Holgerson, nach Hause fliegen? Eher nicht. Wir haben mehr erlebt als wir erwarteten und unseren Verfolgern mehr erzählen können als sie erhoffen durften. Sollen wir sie nun mit einer Wanderung auf die Kampenwand wortreich langweilen, wenn wir sie gerade eben mit der Besteigung des Everests atemlos machen konnten?  

Aber natürlich stellen wir uns auch die Frage, wie es weitergehen soll und was wir sehen wollen. Wir sind nach drei Monaten keineswegs satt, aber es fehlt uns gerade ein wenig die Vorstellung, was dem Gesehenen und Erlebten zumindest ebenbürtig sein könnte.  

Wir haben großartige Städte kennengelernt, und fast alle werden uns immer auf ihre Art in Erinnerung bleiben, die einen, weil sie uns mit ihrer gesamten Ausstrahlung in Bann geschlagen haben, wie Sevilla oder Cádiz. Andere, wie etwa Granada oder Cordoba, beziehen ihren ewigen Erinnerungswert aus der Alhambra und der Mesquita, von denen sie – unverdient – in den Schatten gestellt werden. Wenn Jerez nicht eine Königliche Reitschule und eine Bar Gabriela hätte, bliebe von ihr die Erinnerung an Müll und Uringestank rund um den Alcázar. Valencia bleibt in unserer Erinnerung die Unvollendete, die wir noch einmal aufsuchen müssen und Murcia hätten wir bestimmt schon vergessen, wenn sie uns nicht eine schwarzgrüne Mamba serviert hätte, die sie für uns unsterblich macht.  

Und unglaublich schöne und oft genug jeder Beschreibung trotzende Landschaften haben wir durchfahren und erlebt, im Alentejo, an der Algarve, in den Bergen Andalusiens zwischen den weißen Dörfern, die Wüste von Tabernas und, kaum zu überbieten, die Extremadura. Und dann sind da noch die Cais von Carrasqueira im Sahrastaub, die allein schon diese Fahrt gerechtfertigt hätten.  

Küstenabschnitte haften in unserer Erinnerung, wie der Fischerweg bei Lagos oder der Strand von Milfontes, die sich locker in die Galerie der Klippen und Strände der Bretagne oder Schottlands einreihen können.  

Und liebenswerten und wertvollen Menschen sind wir begegnet, Franze, der bärbeißige, aber im Grunde herzensgute Einsiedler auf seiner Finca Caravana. Joeri und Audrey aus der Bodega 2020, Konni und Wolfgang, die „Bürstners" aus Ronda, der meditativ angehauchte Stellplatzbetreiber aus São Brás de Alportel und natürlich die Heidenreichs aus Toledo. Sie sind die kleinen Perlen in der Krone unsere Reise, aber nicht der Auslöser einer Schreibblockade, weil sicher auch in Zukunft liebenswerte Menschen unseren Weg kreuzen werden; sie gibt es zum Glück überall.  

Aktuell treibt uns die Frage um, wie es konkret die nächsten Tage weitergehen soll. Die Tage auf der Iberischen Halbinsel neigen sich unwiderruflich dem Ende zu, und wir müssen uns entscheiden, was auf unserem Weg nach Frankreich auf der Strecke bleibt oder noch Aufnahme in den Reisealmanach finden wird. Das ist nicht so trivial wie es sich anhört, weil man mit jedem Tag neue Leute mit neuen Tipps begegnet, was man unbedingt sehen und keinesfalls übersehen sollte.  

Wir sind uns einigermaßen einig, dass Porto noch einen Stopp wert sein sollte, doch dann wird die Gefechtslage schon undurchsichtig. Coimbra? Sicher sehr sehenswert, aber was ist das nicht in dieser Gegend? Wie viele historische Städte mit ihren Kathedralen, Klöstern und Arkaden soll man noch besuchen? Eine gewisse Wiederholung und Ermüdung können wir nicht verleugnen. Also, ab durch die Mitte, quer durch Galizien und ab nach Frankreich? A Coruña, Bilbao, San Sebastian? Als wir unsere Reise antraten, freuten wir uns auf die exzellente galizische Küche und empfanden sie als Krönung am Ende unseres Spanienaufenthalts. Doch nun haben wir so oft hervorragend, ehrlich und authentisch gespeist, dass wir den Eindruck haben, auch ohne diese Leckereien keinen Verlust zu empfinden.  

Heute machen wir uns übergangsweise noch einmal kalte Nudeln, weil die „Perle des Ozeans" Ruhetag hat. Und morgen reisen wir weiter. Morgen Abend werden wir, wie jeden Tag, einen Platz gefunden haben, wo wir unsere Häupter zur Ruhe legen werden. Wir sind nicht reisemüde, nur am Ende einer Etappe ein wenig unsortiert. Nach unserer Auffassung gehören solche Zweifel und Cliffhanger in eine ehrliche Reiseberichterstattung. Eine Fahrt ins Blaue ist so wenig wie das Leben eine immerwährende Krönungsmesse.  

Morgen ziehen wir weiter nach Norden, nicht auf dem Rücken von Wildgänsen, sondern in unserem Franz, auf den wir uns bisher verlassen konnten und dem wir weiterhin vertrauen, egal, wohin wir ihn schicken werden.

Aveiro / Vila Nova de Gaia
NP Monfragüe / Costa de Lavos