Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Porto

Porto

Montag, 4.4.2022

Die Nacht ist so stürmisch, dass nicht nur der Franz wie ein Kinderwagen schaukelt, sondern auch die kleinen Französinnen in unseren Bäuchen ein Schleudertrauma bekommen.  

Um 7 Uhr ist es bei 6 °C noch immer stürmisch, und die Wetterfrösche sagen uns im Laufe des Tages weiter windiges Ungemach mit Böen bis 55 Km/h (Windstärke 7) vorher, aber wolkenlos soll es bleiben, was einer Besichtigung Portos sicher zuträglich wäre.  

Der Bus (Linie 15) hält praktisch vor der Haustür, und um 11:30 Uhr starten wir zu unserem Besuch von Porto, den der Chronist übrigens seit gestern Abend nicht mehr in Frage gestellt hat. Die Fahrt kostet 1,90 €. Während dieser stellt sich uns allerdings die Frage, ob es noch zu einem Besuch kommen wird, denn der Fahrer fährt selbst durch die engsten Straßen, solche, bei denen der Chauffeur mit seinem Franz Schweißausbrüche bekommen würde, wie der Henker. Man zweifelt ja nicht daran, dass ein Busfahrer sein Gefährt kennt, aber so passgenau auf Zentimeter zwischen den parkenden Autos durchzusteuern, und zwar ohne erkennbare Bremsbestrebungen, nötigt dem Chauffeur tiefsten Respekt ab.  

Nach einer knappen halben Stunde entlässt uns der Hell-Driver unversehrt am Jardim de Morro: Endstation.  

Wenige Meter in Richtung Norden, auf den Douro zu, erhebt sich rechterhand das Kloster Serra do Pilar mit seiner runden Kirche, dessen Baubeginn auf das Jahr 1538 zurückgeht und heute zum Kulturerbe gehört. Wegen seiner exponierten Lage hoch über dem Douro mit Blick hinüber zum anderen Flussufer wurde es während des Bürgerkriegs zwischen 1832 und 1834 von liberalen Truppen besetzt. Noch heute ist es im Besitz des Regimento de Artilharia da Serra do Pilar, was die Geschütze um das runde Kirchengebäude erklärt. Auf dem weitläufigen Aussichtspunkt direkt bei der Kirche verschaffen wir uns einen ersten Überblick über Porto. Wir stehen hier etwa 80 m über dem Douro, zu unseren Füßen die Brücke Dom Luis I. Auch sie spannt sich noch in etwa 60 m über dem Douro hinüber in die Altstadt.  

Wenn wir von Porto sprechen, meinen wir eigentlich die beiden Städte nördlich und südlich des Douro-Ufers. Wir befinden uns noch über dem Südufer in Vila Nova de Gaia. Am nördlichen Ufer liegt Ribeira und die anderen Teile der Altstadt, alles zusammen bildet die Metropolregion Porto mit knapp 1,8 Millionen Einwohnern.  

Ganz tief unter uns liegen die Cais de Gaia, die südliche Uferpromenade und Flaniermeile Vila Nova de Gaias mit Bars, Restaurants, Geschäften und den Kellern der renommierten Portweinproduzenten. Werbewirksam sind dort Boote mit Portweinfässern vor dem Ufer vertäut, die, sanft und einladend schaukelnd, die Kundschaft animieren sollen. Außerdem findet man hier die Anleger für Ausflugsfahrten auf dem Douro.  

Aber wie kommt man dort hinunter? Beide Ufer des Douro sind Steilufer, gemächlich hinunterschlendern ist ausgeschlossen. Die Lösung ist die Teleférico de Gaia, eine Luftseilbahn, die den Jardim de Morro mit den Cais verbindet. Zwölf Kabinen mit je acht Plätzen befördern bis zu 850 Personen pro Stunde von hier oben nach unten und wieder zurück. Allerdings ist der Preis für fünf Minuten Segeln mit 5 € (8 € mit Rückfahrt) sportlich. Da wir aktuell keine Portweinprobe und auch keinen Bummel am Flussufer mit Shoppingerlebnissen im Sinn haben, sondern lieber wissen wollen, was drüben in der Altstadt auf uns wartet, überqueren wir den Douro zu Fuß über die stählerne Ponte Dom Luis I, und haben damit bereits die erste Top-Sehenswürdigkeit Portos in unserem geistigen Notizbüchlein.  

Die Brücke wurde von Gustave Eiffels Schüler und Partner Théophile Seyrig geplant, aber von Eiffels Unternehmen erbaut und 1886 in Betrieb genommen. 60 Meter über dem Fluss verbindet sie die Altstadt mit Vila Nova. Die Ponte Luís I hat zwei Fahrbahnebenen: Die untere Ebene ersetzt die frühere Ponte pênsil und dient dem Verkehr zwischen den ufernahen Stadtvierteln der Ribeira und des Cais de Gaia. Ihre zwei schmalen Fahrspuren werden von zwei sehr schmalen Gehwegen eingefasst. Die obere Ebene auf dem Bogen ist seit 2004 für die Stadtbahnzüge der Metro do Porto und den Fußgängerverkehr reserviert. Sie diente ursprünglich dem Verkehr zwischen den hoch gelegenen Stadtvierteln. Nach dem Bau der vierspurigen Ponte do Infante etwa 600 m flussaufwärts wurde diese Ebene 2004 für den Straßenverkehr gesperrt. Da wir uns hoch oben befinden, überqueren wir demnach den Fluss auf der oberen Brückenebene, neben den Metrogleisen. 

Und dann sind wir über den Douro und in der Altstadt Ribeira. Auch dort gelangt man nicht so einfach über das Steilufer hinunter zu den Cais und dem Hafen von Ribeira, wo sich genauso viel touristisches und geschäftiges Leben abspielt wie am gegenüber liegenden Flussufer. Den schnellen Zugang zum Ufer stellt hier der Elevador da Ribeira her, ein Aufzug wie wir ihn ähnlich von Lissabon kennen. Obwohl er manchmal von Einheimischen als Transportmittel benutzt wird, wird er am häufigsten von Touristen benutzt. Der Elevador da Ribeira ist nicht nur eine Attraktion, sondern auch ein sehr guter Aussichtspunkt. Von oben hat man einen weiten Blick auf das Viertel Ribeira, die Luiz I-Brücke und den Hügel Serra do Pilar in Gaia, von wo wir gerade kommen. Zumindest theoretisch ist das so, denn sowohl der Abstieg zum Fluss wie auch der Ausblick bleiben uns verwehrt, weil der Elevador wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb ist.

 

Doch nun liegt die Altstadt Portos vor uns und wartet auf unseren Besuch. In der Tourist-Info gleich linkerhand nach der Brücke, besorgen wir uns noch einen Plan und lassen uns erklären, was wo ist und was unbedingt sein sollte. Also los.

 

Der erste Top-Act ist der Bahnhof São Bento (Estacio de São Bento), den wir, obwohl wir direkt vor ihm stehen, erst einmal gar nicht sehen und als Bahnhof identifizieren. Der Grund dafür ist, dass die Wege in der Altstadt Portos sehr kurz sind, wir aber weiträumiger gedacht haben, also irgendwie in die Ferne schweiften, obwohl das Gesuchte doch schon vor uns lag. Der Bahnhof ist der offizielle Bahnhof Portos, also kein Museum oder historisches Objekt; hier kommt man und geht man, und entsprechend trubelt es rundherum. Der Besuch des Bahnhofs lohnt sich, weil die Vorhalle über und über mit den weiß-blauen Keramikfliesen (Azulejos) gestaltet ist, die viele Szenen aus der portugiesischen Geschichte, aber auch Szenen aus dem Alltag der Menschen abbilden.

 

Dann flanieren wir weiter, statten der Kathedrale (von außen) einen Besuch ab, in der Rua Santa Catarina werfen wir einen Blick in das renommierte Café Majestic, einem Jugendstil-Kaffeehaus mit Original-Innenausstattung aus den 1920er Jahren, ähnlich dem berühmten Café A Brasileira in Lissabon, nur dass im Majestic die Kellner mit schicker Fliege ihren Dienst tun, was uns distanziert Abstand nehmen lässt.

 

Fast alle offiziellen, historischen Gebäude, die Kirchen und Museen tragen einen Schmuck aus Keramikfliesen, aber auch viele Privathäuser, sofern sie gepflegt und noch instand sind, denn bei aller Begeisterung für die Anmut Portos, schmiegt sich auch hier die Armut, das Elend und der Zerfall an den Luxus. Viel Leerstand begegnet uns auch im prominenten und reichen Zentrum der Stadt: Verfall allenthalben. Oft ist nur das Erdgeschoß mit Geschäften intakt und in Betrieb, darüber erhebt sich eine Ruine. Porto ist für den Durchschnittsbürger zu teuer geworden, der zieht aufs Land. Diese Entwicklung kennen wir auch von zuhause, aber es gibt einen wesentlichen Unterschied: In München, Stuttgart, Hamburg oder Düsseldorf steht nicht die halbe Innenstadt leer oder zerfällt. Die weinerliche Heulsuserei über den kurz bevorstehenden Untergang Deutschlands wird von einer speziellen „German Angst" gespeist; Deutschland ist noch immer wohlhabend und weit vom Untergang entfernt. Dass sich viele Menschen das Leben in der Stadt nicht mehr leisten können, ist schlimm genug, aber nicht vergleichbar mit dem, was wir nun seit Wochen auf der Iberischen Halbinsel erleben. Reisen bildet eben nicht nur, sondern macht in seinen besonderen Augenblicken auch weitsichtig und vor allem: demütig.

 

Die Igreja do Carmo, eine aus der Mitte das 18. Jh. stammende Barockkirche, zeigt Azulejos nur an den Seitenfassaden. Eigentlich handelt es sich bei dieser Kirche um zwei Kirchen, der Igreja do Carmo und der Igreja dos Carmelitas, einem Karmeliterkloster. Da aber zur Zeit der Errichtung dieser Kirchen keine zwei Kirchen direkt nebeneinander gebaut werden durften, hat man sich einen kleinen Trick überlegt und zwischen die beiden Kirchen ein Wohnhaus geklebt, gut einen Meter breit und mit Sicherheit das schmalste Haus Portugals, wahrscheinlich ganz Europas.

 

Den berühmten 75 Meter hohen Glockenturm der Igreja dos Clérigos bestaunen wir nur von unten, weil uns die versprochene Aussicht auf Porto die 240 Stufen nicht wert ist. Man muss schließlich mit seinen Kräften ein wenig haushalten.

 

Auch das besonders beeindruckende Innere der Bücherei Libraria Lello & Irmão bleibt uns verborgen. Mit ihrer neogotischen Außenfassade, ihrer hölzernen Innenausstattung im Jugendstil und ihrem Buntglasdach aus dem Jahre 1906 ist sie seit vielen Jahren ein Besuchermagnet. Hier soll J. K. Rowling die Inspiration für die Harry-Potter-Bücher erhalten und gleich die ersten Kapitel geschrieben haben. Die Treppe ins Obergeschoß diente ihr als Vorlage für die Treppe in Hogwarts. Dementsprechend überlaufen ist die Bücherei, die inzwischen mehr ein Museum ist als eine Bücherei. Seit einigen Jahren wird ein Eintrittspreis von 5 € erhoben, der beim Kauf eines Buches verrechnet wird, dennoch stehen die Besucher Schlange, um einen Blick in die Bücherei zu werfen. Nichts für uns, wir wollen nicht den halben Rest des Tages in einer Touristenschlange verbringen.

 

Um 14:50 Uhr ist der Chronist froh, den Besuch Portos nicht boykottiert zu haben, aber nun haben wir auch genug gesehen. Für den Rückweg leisten wir uns ein Taxi. Der Fahrer fährt zwar, wie man es von einem Taxifahrer erwartet, schneidig, findet aber unser Ziel nicht auf Anhieb und braucht unsere Handy-Unterstützung. So kommen wir nach einigen Schlenkern durch Vila Nova de Gaia doch noch um 15:35 Uhr an und bezahlen 15,50 €. Als wir vor den Toren des Campingplatzes stehen, zeigt er uns stolz Bilder vom Camping-Wochenende mit Familie, glückstrahlend. Vielleicht ist es ja eine Masche, seine Irrfahrt ein wenig aus dem Fokus zu nehmen, aber wir nehmen sie ihm sowieso nicht übel; viel weniger als die verlangten 15,50 € wären es auch so nicht geworden, schließlich verfolgt man den Taxameter während der Fahrt.  

Der Wind hat sich gelegt, der Nachmittag ist schön und lädt ein, seinen Kaffee im Freien zu nehmen. Noch bevor wir die Kaffeemaschine am Wechselwichtel in Betrieb nehmen wollen, ist der Strom weg. Der Hiwi muss her, den Verteilerkasten aufschließen und die 2-Amp.-Sicherung wieder in Betrieb bringen. Wir schwören, keine hochpotenten Geräte angeschlossen zu haben. Schon steht ein anderer bei Fuß und berichtet, dass auch er keinen Strom mehr habe. Der Hiwi muss wieder antreten. Nun läuft der Besitzer eines neu neben uns parkenden Concord-Liners der Centurion-Klasse fragend herum: Kein Strom. Der Hiwi löst das Problem, doch schon steht ein Neuer mit stromlosem Gesicht bereit, die Dienste des Hiwis in Anspruch zu nehmen. Und kaum ist das erledigt, ist der Concord wieder ohne Saft. Sein Besitzer beklagt schulterzuckend, dass er seinen Boliden zwar bis auf vier Ampère herunterregeln könne, aber eben nicht weiter. Irgendwie sind wir alle amüsiert, weil zwar jede Steckdose einzeln abgesichert ist, aber dennoch die Gesamtlast an diesem Spätnachmittag, wenn Kaffee bereitet und Essen gekocht wird, das System überfordert. Aber bekanntlich ist nichts von Dauer, auch die Elektro-Demenz von Camping Parque Salgueiros nicht.  

Nun wird es aber Zeit, bei Sofia im Restaurante Brasão vorzusprechen und um einen Fensterplatz mit Betreuung durch Luis zu bitten. Die Bitte wird uns gewährt, und wir fühlen uns schon zuhause, als wäre es unsere Stammkneipe. Den Untergang der müden Sonne begleitet auch heute wieder eine riesige Bowl Gin Tonic. Anders als gestern hat Luis heute wenig Arbeit mit uns, weil wir schon seit gestern wissen, was wir heute bestellen werden: eine Reispfanne mit Octopus, eine Art Paella, allerdings im Ofen überbacken, mit Kapern statt der Erbsen, geschmorten Tomaten und Paprika. Eine knappe halbe Stunde müssen wir warten, bis das dampfende Gedicht auf den Tisch kommt; bis dahin ist die erste Hälfte des Vinho Verde schon verdunstet. Falls jemand dieses Lokal aufsucht, sollte er sich nicht von den exquisiten kleinen Französinnen blenden lassen: Der Reis zwingt selbst sie in die Knie. Das Problem unserer Urlaubsverköstigung ist, dass wir selbst an den Außengrenzen unseres Fassungsvermögens keiner Schweinerei und Völlerei eine Absage erteilen können, weshalb wir uns anschließend noch gerne zu einem Lemon Meringue Pie überreden lassen, allerdings nur einmal für uns beide. Was dann auf den Tisch kommt, ist ein Meringue-Törtchen mit einem halbflüssigen Kern aus Zitroneneis. To be honest: Wir haben schon viele Nachspeisen gekostet, diese schlägt alles. Bevor wir uns dankbar und herzlich von Luis und Sofia verabschieden, überlassen wir ihrer Monetenmaschine vertrauensvoll noch schnell 77,20 €. Für dieses Festessen hätten wir ihr sogar noch mehr überlassen, aber das sagen wir ihr natürlich nicht. Stattdessen wiederholen wir uns: Wer in dieser Gegend hängen bleibt und Spaß an feiner Speise hat, sollte das Brasão nicht übersehen; es ist ein Top-Tipp, weil tipp top.  

Schon wieder fallen wir mit prallem Gekröse in die Betten.  

Nationalpark Gerês
Aveiro / Vila Nova de Gaia