Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Moliets-et-Maa

Moliets-et-Maa

Samstag, 9.4.2022

Jetzt ist es soweit: Die Semana Santa steht vor der Tür und die Unheilige Familie des Bairischen Blues verlässt Iberien.  

Um 10:15 Uhr verlassen wir nach einer sehr ruhigen Nacht die Kartause, allerdings mit stündlich dreiminütigem Glockengeläut ab dem frühen Morgen, das eher nach Topfscheppern klingt. Es hat wolkenlose 8 °C.  

Unser erster Weg führt uns zur nächsten Repsol-Tanke, weil wir noch einmal eine spanische Gasflasche (16 €) laden wollen. Die Idee ist, mit dieser und unseren beiden deutschen Flaschen, von denen eine voll und die andere noch zu etwa 70% gefüllt ist, über die Runden zu kommen, jedenfalls, wenn das Wetter mitspielt und wir nicht so viel heizen müssen. Das ist zwar ambitioniert, aber versuchen wollen wir es.

Dann geht es stramm nach Nordosten und der französischen Grenze entgegen. Noch einmal verlassen wir die Autobahn und rollen um 12 Uhr nach Vitoria-Gastreiz, um Carrefour einen Besuch abzustatten. Weil wir nicht wissen, wie sich die nächsten Tage gestalten werden, wollen wir noch einmal alles Notwendige einkaufen. Bei dieser Gelegenheit, und weil Decathlon gleich neben dem Supermarkt lockt, fällt der Reiseleiterin ein, dass sie zu wenig T-Shirts mitgenommen, also noch Bedarf hat, den sie dort zu decken gedenkt. So geschieht es. Die Sache mit den T-Shirts zieht sich jedoch unerwartet länger als es der Einkauf bei Carrefour üblicherweise tut. Dann wird auch noch getankt, weil wir vermuten, dass die Dieselpreise nahe der französischen Grenze anziehen werden. Hier bezahlen wir jedoch auch 1,89.8 €. Ein Schnäppchen ist das nicht. Wir verlassen Vitoria-Gastreiz erst wieder gegen 14 Uhr.  

Weiter geht es auf die Pyrenäen zu, eine Fahrt auf einer Bilderbuchautobahn in einer Bilderbuchlandschaft. Steil erhebt sich das Land neben der Autobahn, stabile, dem Winter trotzende Häuser kleben an den Hängen, mit Bedacht auf Abstand, so ganz anders als die zusammengekuschelten und an den Felsen klebenden Dörfer Andalusiens. Der Unterschied ist so frappant, dass wir uns nicht nur wie ein einer Zeitreise fühlen, sondern sogar das Wort Weltreise in den Mund nehmen. Dieses Land kann nicht Spanien sein, wir müssen uns aus Versehen nach Tirol verschusselt haben.  

Einen Wermutstropfen beinhaltet diese Fahrt hier oben allerdings, denn wir müssen uns eingestehen, dass wir uns mit dem Tanken in Vitoria-Gastreiz keinen Gefallen getan haben: Je weiter wir uns der Grenze nähern, desto billiger wird der Sprit; kurz vor der Grenze höhnt es uns 1,80.9 € von den Tankstellen entgegen. Das macht bei 50 Litern immerhin 4,50 € aus. Der Chauffeur hofft, dass er diesen Fehlbetrag nicht beim Essen wieder einsparen muss.  

Um 15:30 Uhr verlassen wir die Iberische Halbinsel auf unbestimmte Zeit: Wir sind in Frankreich. Doch an der Landschaft mit dem Tiroler Habitus ändert sich vorerst nichts. Nur langsam bestimmt die Nähe des Atlantiks das Landschaftsbild. Flacher wird es allmählich und das Licht milchiger.


Kurzzeitig hatten wir überlegt, eventuell einen Übernachtungsstopp in Biarritz einzulegen – wenn man schon mal da ist –, aber schnell haben wir die Idee verworfen. Wir wollen zügig vorankommen. Wir tauchen in die Gascogne ein, aus der bekanntlich D'Artagnan, der vierte Musketier gestammt haben soll, aber darauf weist nichts hin, nur, dass die bisher baskischen Orts- und Straßenschilder nun den gascognischen, einer Unterart des Okzitanischen, weichen müssen und für uns mindestens genauso skurril und unleserlich sind wie die baskischen.  

Wir haben uns für heute zum Übernachten einen Badeort mit Strand ausgesucht, damit sich die Mädels noch auslaufen können. Es ist Moliets-et-Maa, wo wir um 16:50 Uhr ankommen. Schon die ersten Meter bestätigen uns in unserer Absicht, sicher nicht länger als eine Nacht bleiben zu wollen. Dieser Ort ist ein typischer Badeort am Atlantik. Gewachsen ist hier nichts, sondern alles für den Tourismus zurechtgemacht worden: Kneipen, Shops, Bars, Fast-Food-Buden, Cafés wie auf der Perlenschnur, dazu Shops für den Bade- und Partybedarf des sonnen- und eventhungrigen Badeurlaubers. Überall Menschen mit nichts anderes im Sinn als ein Bad zu nehmen, was sie jedoch klugerweise unterlassen. Aber sie strömen in Richtung Strand, dabei ist noch nicht einmal Saison, im Gegenteil, fast alle Geschäfte und Kneipen sind noch gar nicht in Betrieb.  

Das erfahren wir auch beim Campingplatz Le Saint Martin, nur einen kleinen Dünenanstieg vom Strand entfernt. Als wir dorthin rollen, wo wir die Rezeption vermuten, sind die Wege aufgerissen und von Baggern, Radladern und anderen Gerätschaften zugestellt. Niemand da, es ist schließlich Samstagabend. Ein kurzer Erkundungsrundgang klärt uns auf: Der Campingplatz wird für die neue Saison feingemacht und soll am 14. April öffnen. Bei diesem Vorhaben wünschen wir ihnen viel Glück, momentan sieht es nicht danach aus.  

Aber wir erleben schon bei diesem ersten Halt den Unterschied zwischen Spanien und Portugal, wo die Plätze ganzjährig geöffnet sind und dauernd irgendwo etwas repariert oder erneuert wird. In Frankreich versucht man, es auf den letzten Drücker hinzuwursteln.  

Obwohl sie nichts dafürkann, muss sich die Reiseleiterin eine Rüge gefallen lassen, weil ihr Reisemanagement versagt hat. Dass hier erst am 14. April wieder eröffnet wird, hätte sie nachlesen können, hat es aber nicht getan, weil sie auf einen solchen Gedanken schon seit über drei Monaten nicht mehr gekommen ist. Wozu denn auch, wenn überall immer alles geöffnet hat. Der Chauffeur belässt es wegen der überwiegend tadellosen Leistung seiner Lotsin bei einem schrägen Blick.  

Zweihundert Meter weiter zurück gibt es einen Stellplatz, den Aire de Camping-Cars Moilets-et-Maa. Den steuern wir nun an und rollen um 17 Uhr darauf, nachdem wir ein Einfahrtticket gezogen haben [N 43° 51' 01,8'' W 001° 22' 51,4'']. Es hat 14 °C und ist wolkenlos sonnig. Langsam kurven wir herum, der Platz ist groß und etwa zu einem guten Drittel gefüllt. Man steht unter Bäumen auf Gras und Sand.  

Ein zweiter Blick beim Runden enthüllt uns eine Vielzahl verhüllter Stromverteiler, von denen es reichlich gibt, aber nur, wie sich schnell herausstellt, zwei Strom liefern. Wir haben auf unserem Transit durch Frankreich vor, schnell und ohne Experimente voranzukommen, auch Gas zu sparen, deshalb bevorzugen wir auch heute einen elektrifizierten Platz. Also kuscheln wir uns, ganz gegen unsere Neigung, an einen Holländer, bei dem wir noch einen unbesetzten Anschluss entdeckt haben und der auch nichts gegen Kuscheln hat, weil Holländer sowieso gerne kuscheln. Der eigentliche Kuschelgrund ist jedoch, dass dieser Platz pro Nacht 15 € kostet und der Strom inklusive ist. Man muss kein Schwabe sein, um keinen Grund zu sehen, Stromgeld für nix zu bezahlen. Weiterhin inbegriffen im Peis ist ein Siztzklo ohne Deckel und Papier und ein französisches Hockklo, zwei Pissoirs hinter einer Saloon-Schwingtür, ein Handwaschbecken, aber keine Dusche und keine Spüle. Aber die Ver- und Entsorgung ist nicht zu beanstanden, und das ist uns morgen das Wichtigste.  

Wir bauen uns auf und hauen gleich ab, hinüber zum Strand mit den Mädels. Zuerst machen wir eine Art Einkehrschwung an der Galerie von Restaurants, Kneipen, Bars und Schnellfressern vorbei und befinden, dass wir heute lieber keinen Hunger haben, weil uns all das Hamburger- und beliebig zusammengewürfelte Meeresfrüchtezeug nicht anmacht, auch nicht der Thai- und Chinafraß, die schnellen Pizzas und Pastas. Spätestens als wir einen Automaten ausmachen, in dem man sich eine Pizza zusammenstellen kann, die dann durch einen Schlitz fertig dampfend rausgeschoben wird, wissen wir, dass wir hier sicher nirgendwo einkehren werden.  

Wir kämpfen uns über die Düne, Hedda ist schon außer Sicht, und stehen vor einem wirklich mächtig ausgreifenden Sandstrand, aber nicht allein, wie wir es beispielsweise in Costa de Lavos noch erlebt haben. Hier macht der Franzose Urlaub, Ostern steht bevor, und wir ahnen, was in wenigen Tagen die Uhr geschlagen haben wird.  

Den Chronisten erinnert dieses Szenario an den großartigen Film von und mit Jaques Tati aus dem Jahr 1953: Monsieur Hulot macht Ferien. Zwar macht Monsieur in der Bretagne Ferien, aber die Um- und Zustände unterscheiden sich nicht. Was sich unterscheidet ist nach 70 Jahren das äußere Flair, die Gebäude, die Restaurants, die Autos. Aber sicher wäre auch Monsieur mit dem Handy vor dem Mund durch die Gegend gestapft wie alle hier und mit seiner aufdringlichen Kleinbürgeranmache würde er bestens an diesen Ort passen. Dieser Film, der nur mit wenigen Worten und unterlegter Musik auskommt, gehört zu des Chronisten Herzwärmern. Wer Lust hat, sich mal etwas anderes als einen Blockbuster anzusehen...  

Über eine Stunde toben die Mädels am Strand, bis wir sie überreden können, mit uns nach Hause zu kommen. Wir schenken uns einen Gin Tonic ein und machen Brotzeit – Monsieur Chauffeur macht Brotzeit...  



Les Ormes
Iberische Einsichten