Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Polperro / Mevagissey

Mevagissey

Montag, 25.4.2022 

Um 7:45 Uhr ist die Welt über Bovey Tracey wolkig bei 7 °C.  

Die Osterferien sind nun endgültig vorbei und somit hat sich der Platz bis heute Morgen fast gänzlich geleert, nur Andrea und Mark neben uns sind noch da, schräg gegenüber ein älteres Paar und zwei ebenso liebenswerte wie plauderfreudige Damen mit je einem Camper und einer kleinen Horde Spaniel.  

Nach unserem Frühstück bekommen die Mädels zwei schöne Fährten im Campingplatz gelegt, Hedda gleich auf der Wiese hinter uns, auf dem Zeltgelände, das „Robin's Nest" heißt. Fianna dagegen muss den soeben verlassenen und von Düften strotzenden Hauptplatz absuchen, da hat sie zu tun. Aber sie bewältigt es mit Bravour und auch Hedda zeigt sich unbeeindruckt von den Herausforderungen des "Rotkehlchennests".  

Nachdem der Osterverkehr nun endgültig seinen Schrecken eingebüßt hat, wollen wir mal sehen, wohin uns der Wind blasen wird. Erst einmal verabschieden wir uns von Andrea und Mark, den Nachbarn schräg gegenüber, die aus Bath sind und uns diese Stadt natürlich sehr ans Herz legen, aber auch einen schönen Campingplatz in Glastonbury empfehlen. Bei dem nun folgenden herzlichen Abschied erfahren wir, dass die beiden einen Sohn in München haben, den sie im September besuchen und es bei dieser Gelegenheit bestimmt nicht versäumen werden, auch bei uns vorbeizuschauen. Das würde uns wirklich freuen.

Dann sagen wir unseren direkten Nachbarn Adieu, dessen männlicher Teil seiner E-Gitarre in Ermangelung eines Verstärkers auch jetzt wieder, wie schon gestern unentwegt, metallisch raspelnde Töne entlockt. Die beiden sind aus Falmouth und drängen uns, unbedingt Falmouth – was sonst – und Pendennis Castle zu besuchen, aber um Himmels Willen das National Maritime Museum Cornwall nicht zu vergessen, weil etwas Besseres in Sachen Seefahrt nirgendwo zu sehen wäre, als Falmouther müssten sie das schließlich wissen. Langsam wird die Zeit knapp für etwas anderes als „Como".  

Torten im Supermarkt

Um 11:40 Uhr verlassen wir diesen liebenswerten und frischen Campingplatz bei 13 °C und einem fröhlich weiß-blauen Himmel. Eine halbe Stunde später machen wir bei TESCO Stopp, kaufen ein, tanken den Franz voll (70 l à 1,73.9 £ = 123 £) und gönnen ihm eine Wäsche, die dringend notwendig geworden ist. Kurz vor 14 Uhr rollen wir weiter.  

Um 14:50 Uhr kommen wir auf dem Besucherparkplatz [N 50° 20' 18,3'' W 004° 31' 18,3''] des ehemaligen Fischerdorfs Polperro an, der heute reichlich Platz für uns hat. Damit sind wir nun endlich im gesegneten und ersehnten „Como" angekommen. Weil dieses Dorf offenbar einen unwiderstehlichen Reiz auf Besucher ausübt, aber so klein und eng ist, dass außer Anliegern niemand das Dorf mit einem Auto befahren darf, ist der Parkplatz die einzige Möglichkeit, einen Blick auf es zu werfen, entsprechend bedarfsgerecht und marktorientiert sind die Parkgebühren: Womo für drei Stunden 12 £ (PKW 6 £). Für 24 Stunden bezahlt ein Womilist 28 £, ein PKW immerhin auch noch 15 £. Man hat demnach die Wahl, wieder abzudampfen oder für mindestens drei Stunden zu löhnen. Wir befüllen die Gemeindekasse mit 12 £.  

Der Ort ist tatsächlich sehr malerisch, eng, so eng, dass man sich fragt, wie die Einheimischen hier mit ihren Autos durchkommen. Dazu gesellen sich noch einige PKW jener Touristen, die im Ort etwas gemietet haben. Zwar liegen immer noch Fischerboote im Hafen, die auch noch im Einsatz sind, aber mit Fisch verdient man seinen Lebensunterhalt in Polperro nicht mehr: Tourismus ist das Gebot der Stunde: Pubs, Inns, Cafés, Ateliers und Kunstläden, Souvenirs und anderes Nutzloses. Dennoch macht Polperro nicht einen so trostlos verkauften und nuttigen Eindruck wie viele andere Touristenorte. Fast schlimmer wirkt auf uns der auffallende Leerstand und die Schilder „Closed", die, wenn man einen Blick in die Kneipe oder den Laden wirft, auch nicht den Eindruck vermitteln, dass heute nur Ruhetag ist. Hier scheint einiges mit der Ebbe ins weite, weite Meer hinausgespült worden zu sein. Ob es an Covid liegt oder andere Gründe dafür verantwortlich sind, lässt sich auf einem kurzen Rundgang nicht erschließen.  

Wir drücken uns durch die Gassen und Gässchen, bummeln am Hafenbecken entlang und wieder zurück, um uns schließlich zwei Cornish Pasties zu kaufen, eines gefüllt mit Hühnchen, das andere mit Lamm.

Und dann haben wir genug gesehen. Gegen halb fünf Uhr, nach nur etwas mehr als der halben bezahlten Parkzeit, verlassen wir Polperro wieder. Schön, dass man sich kennengelernt hat.  

Um weiter nach Westen und Cornwall vorzudringen, könnten wir die Fähre über den River Fowey bei Bodinnick nehmen. Aber die Straßen dort unten sind lausig eng, vor allem aber besteht die Gefahr, dass Wohnmobile über sechs Meter wegen des Böschungswinkels bei der Auffahrt auf die Fähre aufsitzen, schon gar, wenn sie einen so langen Hecküberstand haben wie unser Franz. Die Toleranz zwischen 6 m und 7,30 m ist selbst der fährnarrten Navigatorin ein wenig zu ambitioniert, weswegen sogar sie die etwas weitere Nordroute vorzieht.  

Die Straßen sind heute überwiegend gut, teilweise zwar wieder sehr eng, aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran; nur die Beifahrerin zieht immer mal wieder die Luft durch die Zähne, wenn ihr die Lage zu hautnah zu werden scheint. Die Frage ist doch: Was wäre die Alternative? Auf die attraktivsten Flecken verzichten? Dabei wissen wir doch alle, dass es immer um einiges mühsamer und aufwändiger ist, an die echten Perlen zu kommen, als wenn man sich mit Glasperlen und Massenware zufriedengibt. Haben wir nicht alle schon einmal Qualen und Ungemach auf uns genommen, um ein Schmuckstück an Land zu ziehen? Hand aufs Herz!  

Um 17:30 Uhr rollen wir auf den Parkplatz von Mevagissey [N 50° 16' 17,9'' W 004° 47' 24.0''`], dem es, vorsichtig ausgedrückt, an jeglichem Ambiente fehlt, der dafür den Vorteil hat, nur wenige Schritte vom Ortszentrum entfernt zu liegen. Wir werden von einem herzlich parlierenden Platzwärter begrüßt, der uns für die Nacht bis morgen Früh um 10 Uhr eine Quittung über 9 £ ausstellt. Davon könnte sich Polperro eine fette Scheibe abschneiden.  

Und weil der Himmel am frühen Abend so erfrischend blau ist (12 °C), bedanken wir uns bei ihm, dass er extra für uns ein so prächtiges Wetter bestellt habe. Er aber weist den Dank empört als unberechtigt zurück, weil es in Mevagissey immer so schön sei, was ja der Grund dafür sei, dass so viele Rosamunde Pilcher-Filme hier gedreht wurden. Dieser Argumentation haben wir nichts mehr entgegenzusetzen und suchen uns einen Platz.  

Zur anschließenden Orts- und Hafen-besichtigung nehmen wir die Mädels mit, was sie jedoch nicht angemessen zu würdigen wissen. Wir schlendern durch den Ort und zum Hafen, was uns alles nicht so sehr vom Hocker haut. Richtig schön kann man den Ort nicht nennen, der Hafen macht dafür wieder einiges gut.  

Klar, dass auch dieser Ort wesentlich vom Tourismus lebt, weil alles, was mit Fischerei und bunten Schiffen zu tun hat, selbst, wenn sie mehr Rost als Farbe tragen, den Tourismus anzieht, dazu einige verwinkelte Ecken, in die Kneipen und Restaurants hineingepuzzelt werden, und schon kann man aufs harte und entbehrungsreiche Fischerleben verzichten und seine Netze über die Touris werfen. Darüber sollte man nicht die Nase rümpfen, der Chronist würde es nicht anders machen, wenn er vor der Wahl stünde; Seefahrtromantik ist nicht angebracht. Im Gegensatz zu Polperro ist der touristische Eindruck jedoch angenehm bescheidener.  

Weil die Mädels noch etwas mehr Bewegung brauchen als nur ein paar Meter durch den Hafen und wieder zurück zu tippeln, wandern wir noch über den Coastal Path in die hoch über dem Hafen gelegenen Ortsteile, die uns ganz ordentlich ins Dampfen bringen; da geht es richtig aufwärts. Oben gibt es auch noch genügend Grünflächen, auf denen sie sich austoben und ihre Geschäfte erledigen können.  

Um 18:30 Uhr sind wir dann wieder unten auf Meereshöhe und beim Franz. Lange war der Spaziergang nicht, aber er hat seinen Zweck erfüllt. Jetzt machen wir uns die Pasties warm, die wir in Polperro gekauft haben und sind anschließend knackig satt.  

Wir müssen an dieser Stelle selbstverständlich den Nichteingeweihten erklären, was Pasties sind. Heutzutage und in erster Linie sind sie die Spezialität Cornwalls schlechthin, etwa auf Augenhöhe mit den Natas in Portugal, dem Jamon Iberico in Spanien und der Weißwurst in Bayern.  

Pasties sind erst einmal gefüllte Teigtaschen. Ihr Ursprung geht bis ins 13. Jh. zurück. Damals war es den höheren Schichten vorbehalten und mit Rindfleisch, Lamm oder sogar Meeresfrüchten gefüllt. Später wurde es von den Bergarbeitern Cornwalls als ideale Mahlzeit entdeckt, weil man es kalt oder warm essen kann, deswegen kein Besteck braucht, also auch zwischendurch auf die Faust verzehren kann. Weil Bergarbeiter aber nicht besonders begütert waren, änderte sich der Inhalt: Gehacktes Rindfleisch (mindestens 12,5%), Kartoffeln, Zwiebeln, Steckrüben (mindestens 25%) und Gewürze, wobei sowohl Inhalt wie Teig herzhaft gewürzt sein müssen. Das Gemüse kommt roh in den Teig und wird erst beim Backen gegart. Die Kunst ist also, die Teigdicke so zu wählen, dass er nicht zu dünn ist, aber auch nicht zu dick, weil er sonst verbrennt, bevor das Gemüse weich ist. Das Pasty hat die Form eines Halbmonds, der Rand wird geknittelt. Zu Bergarbeiterzeiten wurden dort die Initialen des Eigentümers eingearbeitet, damit keiner das Pasty eines Kollegen verspeist.  

Wenn man die Inhaltsangaben ernst nimmt, haben wir uns heute keine originalen Pasties gekauft, denn Hühnchen und Lamm sind, streng betrachtet, kein gültiger Inhalt für ein Cornish Pasty. Aber das kümmert niemanden und uns erst recht nicht, Hauptsache es schmeckt. Unser erstes Pasty schmeckt ausgezeichnet, wenn es auch im Omnia einen etwas zu finsteren Rand bekommen hat. Dafür kann aber das Pasty nichts, und was ein echtes Pasty ist, lässt sich dadurch nicht den Geschmack verderben.  



Falmouth / The Lizard
Bovey Tracey