Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

Schriftgröße: +
11 Minuten Lesezeit (2146 Worte)

Saltee Island

Papageientaucher auf Saltee Island

Donnerstag, 5.5.2022

Während der vielen Gespräche mit unseren Gastgebern, und man kann einem Tag und einem Abend sehr viel durchdeklinieren, haben wir erwähnt, dass wir eventuell am Ende unserer Reise noch einen Quicky nach Schottland ins Auge fassen, weil wir dort vor drei Jahren, Ende August, keine Papageientaucher mehr zu sehen bekamen: Brutzeit zu Ende, alle weg. Das gleiche galt für die mächtigen Basstölpel, auch schon weg. Diesmal kämen wir Anfang Juni gerade recht zur Brutzeit.

Nicht nötig, nehmen uns die beiden den Fahrtwind aus den Segeln, nur einige Kilometer von hier liegen die Saltee Islands, zu denen ein Schiff abgeht. Dort sind die Puffins zum Greifen nahe und auch sonst alles, was an Seevogelschaft Rang und Namen hat.  

Das können wir uns nicht entgehen lassen, haben gleich gestern für die Fahrt um 10 Uhr gebucht und können es kaum noch erwarten, dass es losgeht.  

Die Mädels müssen sich heute mit einem etwas kürzeren Spaziergang abfinden, der Chauffeur macht derweil den Franz reisefertig, die Mädels bekommen ein ordentliches Frühstück und wir eins auf die Faust.  

Um 9:10 Uhr fahren wir los, hinterlassen das Feennest von Britta und Matthijs hoffentlich in gewünschtem Zustand und sind um 9:45 Uhr in Kilmore Quay am Hafen, wissen aber nicht, wo wir den Franz abstellen sollen, weil wir die genaue Adresse von Saltee Ferry nicht haben. Nach einigen kleinen Rangierern und einer Nachfrage in einer Kneipe erfahren wir, dass wir zum Parkplatz neben der Kirche müssen; das Schiff könnten wir dann im Hafen nicht übersehen. Also zur Kirche, ist ja nicht weit, man sieht sie schon, aber viel Luft bleibt nicht mehr bis zur Abfahrt. Es ist diesig, weiß-blau und auch ein wenig regnerisch bei 14 °C. Der Wiesenparkplatz an der Kirche [N 52° 10' 29'' W 006° 35' 17''] ist groß und durfte bis 2019 noch zum Übernachten genutzt werden, das ist vorbei. Aber er verfügt eine komplette Ver- und Entsorgung, was auch diejenigen interessieren dürfte, die nicht übernachten wollen. Mädels streicheln (Also spricht die Frau Mama: wir geh'n aus und ihr bleibt da), schön aufpassen, Daypack mit Getränk, Regenzeug und Sonnenmilch gepackt, Kamera gecheckt, alles dabei, vor allem die lange Linse, weil: die Vögel kommen nicht geflogen und setzen sich nieder auf unseren Fuß. Das Gerät muss schon stimmen. Jetzt aber los: Um 10 Uhr sind wir am Pier bei der Saltee Ferry und um 10:05 Uhr legt das Schiff mit insgesamt zwölf Passagieren ab.  

Zwei junge Burschen fahren uns hinaus, der eine ist der Skipper, der andere macht die D(r)ecksarbeit. So ist das immer in der christlichen Seefahrt. Außer uns hat noch ein französisches Paar die 30 € pro Person für den Tripp berappt, der Rest sind alles Iren und Engländer. Derzeit fährt das Boot einmal täglich, am Wochenende mehrmals jede Stunde und ansonsten bestimmt die Saison, wie viele Passagen angeboten werden. Auf jeden Fall sollte man vorab reservieren, weil die Touren meist ausgebucht sind.  

Die See ist ruhig, der Fahrstil ambitioniert, weswegen es mehr nasse als trockene Plätze auf dem Boot gibt. Nach knapp sieben Kilometern, liegen wir um 10:30 Uhr vor der größeren der beiden Inseln, der D(r)eckhand greift sich das Dinghi und fährt uns in zwei Fuhren à sechs Personen zur Insel. Die Fahrt dort hinüber ist kaum der Rede wert, nicht mehr als zwei Minuten, die See ist sowieso spiegelglatt, aber eine Engländerin hängt käsweiß auf dem Gummipolster, krallt sich in den Halteleinen fest und raunt: „The worst thing I've ever done". Und so etwas will ein Volk von Seefahrern sein. Trockenen Fußes kommt man nicht an Land, deshalb sollte man das Regelwerk für die Überfahrt vorher durchlesen, dort steht nämlich: Be aware of wet landing. Wie es aussieht, waren alle Passagiere aware und stapfen nun über Schlick und Stein mit angemessenem Schuhwerk ans trockene Ufer.  

Fortan sind wir allein mit den Vögeln – ganze dreieinhalb Stunden. Wobei: So ganz allein sind wir nicht, denn in der winzigen Bucht, in der wir an Land gehen, treiben sich vier Robben herum und lassen uns nicht aus den Augen, kommen immer näher. Wir sind fest überzeugt, die wollen uns vertreiben, damit sie wieder auf ihrer Sandbank sonnenbaden können. Nichts dergleichen! Als wir alle weg und den Berg hinaufgestiegen sind, sind auch die Robben weg; die sind nur unendlich neugierig.  

Great Saltee Island ist im Privatbesitz der Familie Neale, weshalb an manchen Tagen nicht gefahren werden kann, sonst aber gehört die Insel den Vögeln und den Pflanzen. Auf den 89 Hektar dieser Insel treiben sich nun zwölf Leute auf der Suche nach Papageientauchern und anderen Seevögeln herum. An Tagen wie heute, kann der Tourismus kaum sanfter sein, aber an Wochenenden, wenn mehrmals gefahren wird, steht man sich zwar noch immer nicht auf den Füßen herum, aber so richtig sanft ist der Tourismus dann nicht mehr.  

Die Vögel scheint das wenig zu stören. In einem Merkblatt werden wir darauf hingewiesen, dass wir uns ihnen und ihren Nestern nicht mehr als sechs Metern nähern sollten, weil die dann das Nest verlassen und die Möwen sich herzlich bedanken; dann ist das Nest leer. Aber der Hinweis lässt schon darauf schließen, dass sich die Vögel hier nicht so leicht vertreiben lassen – sechs Meter ist eigentlich gar nichts!  

Die Basstölpel haben mit unserer Nähe das geringste Problem, die nisten, wie immer, gerne draußen auf einem vorgelagerten Felsen. Einen Höllenlärm veranstaltet diese graziöse Bande, doch ihr Flug ist eine Augenweide. Mit ihnen nehmen es nur die mächtigen Mantelmöwen mit den schwarzen Flügeldecken, den größten Möwen überhaupt, auf, die allgegenwärtig sind und denen nicht die geringste Chance auf einen fixen Zugriff entgeht.  

Anders sind die Wohnverhältnisse in den Steilküsten, die vor uns ins Wasser stürzen. In den Felsen nisten vor allem Trottellummen und Tordalks, und wir sind nicht die ersten, die sich fragen, wie die bei diesem Betrieb, gegen den der Hexensabbat von Glastonbury ein beschaulicher Wochenmarkt in der Provinz ist, immer wieder ihre Nester finden, jeglichem Geschrei und Gekeife der Nachbarn zum Trotz. Tausende sitzen da, und es werden immer mehr, je länger man das Auge auf eine Felsregion richtet, in der man im ersten Moment nichts als Felsspalten gesehen hat. Nun „vermehren" sie sich von Sekunde zu Sekunde. Weiter unten, auf den größeren Felsen fühlen sich die Kormorane wohl und auch ihre nahen Verwanden mit dem Schopf auf dem Kopf, die Krähenscharbe.  

Nur mit den Papageientauchern, den Puffins, tun wir uns ein wenig schwer. Gelegentlich kreuzen sich unser Spuren mit denen der anderen zehn Besuchern, und immer wieder verweist man uns auf irgendwelche Stellen in den Felsen, in denen es jede Menge Puffins geben soll. Aber wir sehen keine, immer nur Lummen und Tordalks.  

Doch dann sitzt plötzlich ein Puffin kaum sechs oder sieben Metern vor uns im Gras. Und als wir die Stelle etwas genauer abscannen, werden es immer mehr, keine nennenswerten Zahlen, aber da sind sie. Jetzt wird uns erst klar, dass die Puffins nicht unten in den Felsen brüten, sondern in Grashöhlen ganz oben auf den Klippen, fast schon zwischen den Spaziergängern.

Für diese Knuddels mit den bunten Nussknackerschnäbeln würde sich die Reisefotografin auch vor Begeisterung über die Klippen stürzen, jedenfalls verliert der Chronist sie viel häufiger aus den Augen als ihm lieb ist, wenn sie sich wieder einmal ganz nach vorne wagt, um einen idealen Blick- und Schusswinkel zu finden; sie ist im Safari-Fieber und er sieht sich lieber im Hinterland um... wenn es einen Platsch machen sollte, der nicht in die Melodie der Klippen passt, lohnt auch kein Blick zurück mehr... Doch völlig unerwartet erscheint sie wieder, gesund an Leib und jubelnd in der Seele – bis sie merkt, dass sie ihr Handy verloren hat. Also wieder hinunter. Der Chronist geht derweil einfach weiter, entweder sie kommt hinterher oder nicht; es ist, wie es ist, außer dass er dann während der Fahrt auch noch die Navigation erledigen müsste.  

Aber Glückgeborene kommen immer wieder, und so wird der Tag das, was wir uns von ihm erhofften: unvergesslich! Über uns breitet sich ein Himmel aus flüssigem Lapislazuli, das Meer, je nachdem in welche Himmelsrichtung wir blicken, suppt in Platin oder Smaragd, die Gelbflechten auf den Felsen gehen eine strahlende Hochzeit mit den Atlantischen Hasenglöckchen ein, die sich in weiten lilablauen Matten dazwischen ausbreiten und wir könnten uns auf der Insel zum Sterben legen, jedenfalls scheinen uns die dreieinhalb Stunden viel zu kurz.  

Doch um 14 Uhr ist es so weit. Das Meer dümpelt nun etwa zehn Meter weiter draußen vor sich hin, was bedeutet, dass wir über glitschige Felsen klettern müssen, um ins Schlauchboot zu gelangen, weil niemand, selbst mit den besten Schuhen, durch den Schlick, das Seegras und den Tang hinauswaten möchte. Der arme Dinghi-Skipper hat jetzt alle Arme und Beine voll zu tun, um uns aus den Felsen freizubekommen. Aber der macht das nicht zum ersten Mal und weiß, wo und wie er anpacken muss, damit wir freischwimmen.  

Jetzt ist die See ein wenig kabbeliger als auf der Hinfahrt, aber immer noch sanft wie ein Kinderwagen, die Navigatorin hätte also gar keine Reisetabletten gebraucht und der verstörten Engländerin von der Hinfahrt gelingen sogar richtig entspannte Gesichtszüge.  

Wie wir wieder in den Hafen von Kilmore Quay laufen, werden wir bereits wieder erwartet: Eine Robbe eskortiert uns bis an die Pier, kommt fast bis ans Boot heran, um zu sehen, was sich bei uns oben tut, gegen sie zeigt sogar Else Kling autistische Züge. Als wir uns alle verabschiedet haben und die Pier verlassen, schwebt auch sie wieder davon: alles gesehen, kommt nix mehr, jeden Tag das gleiche langweilige Programm mit den gleichen langweiligen Touris.  

Wir holen uns bei Quayside Deli & Fish direkt am Hafen Fish & Chips und verspeisen die mächtige und schmackhafte Portion im Auto. Anschließend nutzen wir die Gelegenheit, den Franz hier auf dem Parkplatz zu ver- und entsorgen. Um 15:30 Uhr verlassen wir Kilmore Quay.  

Wir haben keine große Lust, uns jetzt noch einen Hocker zu suchen, rückversichern uns bei Britta und Matthijs, dass einer weiteren Feenwache in ihrem Garten nicht im Wege steht und fahren nach deren ausdrücklicher Zustimmung wieder durch Weißdornsträucher und die Brücke auf unseren alten Platz vor der Terrasse.  

Es ist 16:15 Uhr und es hat 16 °C bei einem bairischblauen Irenhimmel; einfach irre.  

Wir haben heute keine Ansprüche und Erwartungen mehr, wir ruhen, genießen einen Kaffee, gehen mit den Hunden raus, die heute einen langweiligen Franzentag hinter sich haben.  

Ein Schatten fällt dann doch noch auf das verkitschte Bild, das uns Irland heute von sich gezeichnet hat. In einem Gespräch mit einem Bauern nebenan erfahren wir viel über den irischen Alltag nach Covid, Brexit und im Ukrainekrieg: Für den Dünger, der ihn vergangenes Jahr noch 250 € kostete, muss er nun 1000 € bezahlen; keine Ahnung, wie er das schaffen soll. Das Leben ist hart geworden in Irland, dagegen helfen auch keine Jigs und Reels, keine Puffins, keine putzigen Robben, noch nicht einmal Feen, die sich anscheinend sowieso nur beschützen lassen, sich sonst aber aus allem heraushalten. Fianna und Hedda machen dennoch pflichtbewusst ihren nächtlichen Kontrollgang...  

J.F.K Arboretum / Kilkenny
Carrick-on-Bannow