Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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J.F.K Arboretum / Kilkenny

J.F.K Arboretum

Freitag, 6.5.2022 

Der Morgenhimmel im Feenparadies hat wenig Paradiesisches: 14 °C, bedeckt und schmuddelig grau.

Wir haben es nicht eilig, was sich inzwischen herumgesprochen haben dürfte, genießen ein ordentliches Frühstück und machen uns dann gemächlich auf den Weg. Noch einmal ein Rundumblick, ob wir in unserem Gastgarten auch keine Spuren unserer Anwesenheit hinterlassen haben. Dann rollen wir wieder über die Bohlenbrücke, vorbei an der Feenkolonie unter den Weißdornsträuchern und hinaus. Es ist 12 Uhr und immer noch gräulich bedeckt bei 15 °C. Farewell...  

Nach zweieinhalb Biegen um die Ecke füllen wir in Bredas Corner Shop unsere wichtigsten Bestände auf: Brot, Wasser und Scones. Einen solchen knutschigen Dorfladen muss man bei uns lange suchen.  

Um 12:15 Uhr sind wir schon wieder weg und um 13 Uhr fahren wir auf den Parkplatz des JFK-Arboretum und Memorial Park bei New Ross [N 52° 19' 17,5'' W 006° 56' 03,8'']. Es hat 14 °C und regnet leicht. Der Eintritt kostet 5 € für Erwachsene und 4 € für sehr Erwachsene, was allerdings den herzlichen Hüter des Kassenhäuschens herzlich wenig interessiert; er fordert 8 € für uns beide und strahlt, vielleicht, weil er sich bei diesem Wetter über jeden Besuch freut. Und dann erzählt er alles, was wir seiner Meinung nach wissen müssen und erklärt uns, auf welchen Wegen wir was zu sehen bekommen und, und, und... Das alles ist für unsere altersbedingt strapazierten Arbeitsspeicher viel zu viel und vermutlich auch für diejenigen, die sich hinter uns anstellen und warten müssen, bis der Kassier seine Begrüßungsrede abgeschlossen hat. Aber dann...

Was wir von ihm erfahren, ist, dass wir hier auf 250 ha 4.500 Bäume und Sträucher aus aller Welt, sorglichst gehegt und gepflegt, bewundern können, was übrigens auch für unsere Hunde gilt, solange sie an der Leine bleiben.  

Und warum ist eine solche Parkanlage im County Wexford nach John F. Kennedy benannt? Weil JFKs Urgroßvater Patrick 1820 im nahen Dunganstown geboren wurde, von wo er vor der Hungersnot (1845-1849) nach Amerika auswanderte und auf der Überfahrt seine spätere Frau kennenlernte. So begann die Geschichte der Kennedys. Im Sommer 1963 wollte sich JFK die Heimat seiner Vorväter ansehen und machte einen Besuch im County Wexford. Als Erinnerung an diesen Besuch ließ der damalige irische Premier de Valera diese Parkanlage schaffen und eröffnete sie Ende Mai 1968. Finanziert wurde die Anlage vor allem durch US-Amerikaner irischer Herkunft.  

Es ist ein Pflanzen- und Blütentraum entstanden. In dieser Jahreszeit sind es vor allem die fett in allen Farben blühenden Rhodos und Azaleen, die uns begeistern. Man kann zur Tulpenblüte nach Holland fahren oder im Sommer irgendein großartiges Rosarium ansehen, wer aber erleben will, wie die Blütenpracht baumhoch in den Himmel wächst, darf sich so etwas nicht entgehen lassen.  

Aber auch die Baumbestände faszinieren. Wer ist schon mal durch einen Wald unterschiedlichster Eukalyptusbäume gewandert? Eichenhaine mit allen bekannten Eichenarten, alles, was man sich an Nadelbäumen vorstellen kann, Neuweltriesen und Bambusdschungel. Neben den offenen Baum- und Strauchlandschaften streift man auf Saumpfaden vorbei an moorigen Rinnsalen und immer und überall Teppichen dieser prallblauen Hasenglöckchen, die scheinbar ganz Irland blau ausstaffieren und den zarten Kontrast zu den prallen Rhodos bilden. Wir können uns kaum sattsehen, nur der immer nachhaltiger herumpieselnde Regen setzt unserem Vergnügen Schranken. Die Mädels kommen schon gar nicht mehr voran, weil sie sich alle zehn Schritte trockenschütteln müssen, was beim Versuch bleiben muss.  

Um 14:30 Uhr fahren wir weiter, weil das Vergnügen nun langsam ein ziemlich großes Loch hat; die schönste Blütenpracht verliert ihren Charme, wenn man sie vor den nassen Brillengläsern nicht mehr wahrnimmt.  

Manchmal hört man, die Iren seien schlechte Autofahrer, auch weil sie sehr lange keinen Führerschein kannten und der Opa, der nur Trecker fahren konnte, dem Enkel das Autofahren beibrachte. Das ist sicher übertrieben, aber so richtig geschmeidige Autofahrer sind sie nicht, jedenfalls scheinen sie nicht über die wahren Ausmaße ihres Fahrzeugs im Bilde zu sein. Offensichtlich ist für sie der linke Straßenrand, den man nur mit dem Spiegel einsehen kann, Terra Incognita, der sie sich nur ungern nähern. Für uns heißt das dann, auf Kante fahren, sehr auf Kante fahren. Deswegen ist die Fahrt heute anstrengender als es die Straßenverhältnisse erfordern würden. Der Chauffeur nimmt es gelassen, schließlich sind wir hier die Gäste und den Einheimischen gehört das Land – und die Straße. 

Um 15:45 Uhr fahren in Kilkenny auf den Tree Grove Campingplatz [N 52° 38' 23,8'' W 007° 13' 46,8'']. Es regnet etwas bei 13 °C. Für den Platz bezahlen wir 30 € pro Tag.  

Die gesamte Anlage ist nicht groß, fast ein bisschen heimelig, Kiespitches mit Wiesensitzplatz, sauberes Sanitär, Spülküche, das alles macht einen sehr ordentlichen und reellen Eindruck.


Kaum haben wir uns eingerichtet, rollt ein Ire nach dem anderen auf den Platz: Die Dubliner kommen fürs Wochenende. Da haben wir richtig Glück gehabt, eine Stunde später hätten wir wieder abdampfen müssen.  

Beim Betreiber des Campingplatzes holen wir uns die wichtigsten Informationen: Wie kommt man in die Stadt und wo geht man dort hin? 

Mit diesen Informationen ausgestattet, ziehen wir um 19:45 Uhr bei 17 °C und blankblauem Himmel los. Zu Fuß geht es durch prächtige Alleen am Kanal entlang, bis wir, Kilkenny Castle zur Linken, über die St. John's Bridge auf die andere Seite des River Nore wechseln und uns um 20:15 Uhr wie von Zauberhand im Promilleherzen Kilkennys wiederfinden. Gleich linkerhand, jenseits der Brücke, lockt Matt the Millers, jener Pub, den uns der Campingplatzbetreiber empfahl, weil es dort meist Live-Musik gibt. Vor der Kneipe stehen Einlasswillige mit weichem Gangwerk und die Security. Von der erfahren wir, dass es heute wegen mehrerer Privatfeste kein Essen gebe, aber zum Trinken seinen wir herzlich willkommen. Im Langton's könne man gut essen, ein paar Meter die Straße hoch.  

Also stapfen wir zum Langton`s, um uns herum ein lebhaft fröhlich grölendes Völkchen, mit, wie uns scheint, nicht immer ganz jugendfreier Garderobe; irgendwie scheint der ganze Ort Partyzone zu sein. Langton's ist ein sehr großer Pub mit dem Charme einer Bahnhofshalle, deswegen drängt sich hier niemand um andere herum, alles ist locker und überschaubar. An der Theke hängen dennoch einige Gesellen, deren Blick so gekrümmt wie die Theke ist; geradeaus kann von denen kaum noch einer schauen. Einer ist immer dabei, der auf Neuankömmling zugeht, sie mit dem üblichen „H'are ya, guys" begrüßt und sofort ein „Wher'ya from?" folgen lässt. Nach unserem „From Germany" gibt es immer ein großes Hallo und Welcome mit dem Versuch einer körperlichen Verbrüderung, die man mit einem ordentlichen Schlag auf die Schulter abwehren und trotzdem Freund bleiben kann. Ja, wir haben auf diese Weise schon einige „dicke Freunde" gewonnen.  

Unser neuer Freund lässt sich wieder an der Theke nieder, während wir uns an den Grund unseres Aufenthalts hier machen. Wir bestellen einen Seafood-Chowder, wegen der Andeutung der Kellnerin, dass die Portion groß ist und für eine Vorspeise eigentlich überdimensioniert, nur eine Portion für die Reiseleiterin, der Chronist entscheidet sich für Lammbraten. Beides schmeckt ausgezeichnet und gibt dem Tipp, dass man bei Langton's gut isst, recht. Als Begleitung kommen zwei Smithwick's Irish Red Ale auf den Tisch, das meistgetrunkene Bier Irlands.  

Smithwick's wurde 1710 hier in Kilkenny von John Smithwick gegründet und bis 1965 von den Smithwicks betrieben. Danach ging es den Weg vieler Brauereien und Destillen: Erst übernahm Guinness, dann landete es beim weltweiten Alkoholvermarkter Diageo.  

Mit dem Bier können wir uns ebenfalls sehr gut anfreunden; zumindest in dieser Hinsicht haben wir offenbar die gleichen Freundschaftsgefühle wie unser neuer Freund an der Theke, der uns im Fünf-Minuten-Takt einen Toast zuprostet.  

Jetzt wird es Zeit, den „gemütlichen" Teil bei Matt the Millers einzuläuten. Die Security hat gegen unseren Besuch nichts einzuwenden, aber schon das Betreten des Lokals gleicht eher einem Bedrängen: Es ist rammelvoll hier! Gleich hinter dem Eingang finden wir noch zwei freie Sitzplätze bei einem älteren Paar aus Philadelphia. Da Amerikaner meist gesprächig sind, ist zumindest die Konversation für den Abend gewährleistet. Links neben uns führt eine Treppe in das Obergeschoß, wo offensichtlich die angedeuteten Privatfeste zelebriert werden. Ununterbrochen wechseln Leute von oben nach unten und zurück, wobei vor allem deren Outfit unsere Aufmerksamkeit fesselt. Die Frauen sind oft genug in mehr Nichts als Etwas gehüllt, wobei die Textil- und Farbkombination die Geschmacksgrenze mehr als einmal gefährlich überschreitet, nicht zuletzt, weil auch hier keine Rücksicht auf Körperformen erkennbar ist.  

Doch auch die Männer machen keine Ausnahme, obwohl ihnen die Reiseleiterin mehrheitlich appetitliche Körper attestiert, was möglicherweise ihrem geübt selektiven Blick zuzuschreiben ist. Auch sie sind meist viel zu fett mit viel zu wenig drumherum. Wenn irgendwo der Satz zutrifft, sie hüllten sich in seltsame Kleider und irrten ziellos herum, dann hier und heute im Matt the Millers. Aber vor allem sind sie alle schon zum größten Teil plisch und plumm.  

Stag- (Jungesellen-) party

Die verschiedenfarbigen Schärpen, die die Damen tragen und die T-Shirts der Kerle mit Hirschgeweih besagen, dass hier einige Junggesellinnenabschiede (Hen Night) und Junggesellenabschiede (Stag Party) zelebriert werden, die nicht mit unserm betulichen Polterabend vergleichbar sind: Bei den Hühnern und Hirschen geht es erstens ums Saufen, zweitens ums Saufen, drittens um geile Anmachen und viertens ums Saufen, was eine zentrale Frage aufwirft: Warum heiraten die denn überhaupt, wenn sie schon den Gedanken daran nur im Vollsuff ertragen können? Die plausible Antwort könnte lauten: Die Vorstellung, mit solchen Gestalten verheiratet sein zu müssen, lässt sich nur im Vollrausch ertragen. Zugegeben: Der Chronist ist gewohnt gehässig, kann sich das aber aus gegebenen Umständen erlauben, weil er ja nie sein ernüchtertes Auge morgens auf einen Fleischberg werfen musste. 

Ein besonders eifriger und praller Feierer prallt gegen unseren Tisch – „Wher'ya from?" „Germany", und schon reckt er sein Guinness in die Luft, beginnt etwas übersteuert „Proud Mary" zu grölen, worauf der Chronist auch sein Glas erhebt, es ihm entgegenschwingt und einstimmt, und so grölen zwei Stimmwunder gemeinsam „Proud Mary", wenige Sekunden nur, weil dem neuen Freund der Text ausgeht, er sich zur Reiseleiterin herabbeugt und ihr zuraunt: „I love your husband". Und schwankt davon, nur gestützt von der Dichte der ihn umringenden Körper. Und schon hat der Chronist einen neuen Freund in Kilkenny und die Reiseleiterin muss sich vorsehen. Wer es nicht erlebt hat, kann sich nicht vorstellen, wie es hier abgeht.  

Auf dem Zwischendeck im hinteren Teil des Pubs wird nun die Live-Musik vorbereitet, heute bekommen wir Mickey Harte serviert. Mickey ist in Irland eine nationale Musikgröße, obwohl er mit traditioneller irischer Musik nichts am Hut hat. Mickey aus dem County Donegal gewann die erste Staffel der irischen Castingshow You're a Star und fuhr mit seinem Titel We've Got the World als Vertreter Irlands 2003 zum ESC nach Riga. Sein Song erreichte dort den elften Platz – gleichauf mit dem deutschen Beitrag von Lou (Let's get happy). Kann sich noch jemand daran erinnern? Die Iren schon, vielleicht deswegen, weil der Titel und Mickeys Debütalbum direkt danach auf dem 1. Platz der irischen Charts landete. Vergleichbares ist von Lou nicht überliefert. Mickey blieb den Iren weiterhin erhalten, auch wenn ihm die großen Erfolge später nicht mehr gelingen wollten.  

Und nun legt Mickey da oben los, allein mit seiner E-Gitarre, was ihm tatsächlich gut gelingt. Es ist kein leichtes Unterfangen, einen, tobenden und mehrheitlich besoffenen Haufen für sich einzunehmen, aber ihm gelingt das recht gut, immerhin so gut, dass das Publikum seine alten Gassenhauer noch immer mitgrölt. Ob das Lou heute auch noch gelingen würde? So sehr er sich müht und seine Sache sehr ordentlich macht, für uns klingt eine Nummer wie die andere, und so scheint es auch unseren amerikanischen Tischnachbarn zu ergehen. Jedenfalls drängt der männliche Teil mit einer gewissen Ermüdung in der Stimme, seine Gattin zum baldigen Verlassen des Lokals: Er hat genug. Sie könnte noch ein wenig, ist jedenfalls munter bei der Sache. Aber der Ordnungsruf lässt keine Widerrede zu, der Philadelphist hat offenbar genug von dem Umtrieb hier. Möglicherweise ist er ja auch nur beleidigt, weil sich kein betrunkener Freund im Zehn-Minuten-Takt zu seiner Gemahlin hinabbeugt und ihr „I love your husband" zuraunt.  

Vielleicht sind es auch die Hens und Stags, die seine Quäkerseele herausfordern, weil ihre Umtriebe mit fortschreitender Zeit nicht züchtiger werden. Neben uns kommt es zu einem Gerangel, weil die Security unseren Freund aus dem Langton's nun als abtransportreif befindet. Er will noch nicht zu Mama, aber die Zuchtmeister haben das Urteil gesprochen: Schluss für heute! Noch einmal darf er widersetzlich sein Guinness in die Luft schleudern, dann ist er vor der Tür – worauf es Beifall vom Publikum gibt! Wer die Trinkerehre aufs Spiel setzt, darf nicht mit Solidarität rechnen. Das nötigt uns einigen Respekt ab.  

Und noch etwas erfüllt uns mit Ehrfurcht: Das Personal hat diesen völlig durchgeknallten Laden souverän im Griff. Das gilt nicht nur für die Security. Die Barleute arbeiten abgeklärt und souverän die Bestellungen ab, nichts entgeht ihnen, nichts wird vergessen. So routiniert, stellt sich der Chronist vor, könnte das Orchester auf der sinkenden Titanic gespielt haben, Note für Note, Takt für Takt, bis ihnen das Wasser über dem Kopf stand. Doch genau das scheint denen hier nicht passieren zu können.  

Nach mehreren Guinness, wieviel genau weiß nur der Herr und eventuell unser neuer Freund, stützen wir uns die knapp zweihundert Meter wieder die Lower John Street zu Langton's hoch, wo wir ein Taxi besteigen und uns für acht Euro nach Hause bringen lassen. Als wir dort kurz nach 23 Uhr ankommen, ist es wolkenlos bei 10 °C.  

So a sauschöner Tag – und sooo viele neue Freunde, denen man nicht zum Geburtstag gratulieren und auch nichts zu Weihnachten schenken muss, weil sie sich schon morgen an nichts mehr erinnern werden...

Wie versprochen: hier ein Lied zu Kilkenny


Kilkenny
Saltee Island