Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

Schriftgröße: +
8 Minuten Lesezeit (1557 Worte)

Mizen Head

Mizen Head

Sonntag, 15.5.2022

Um 8:30 Uhr werfen wir einen Blick aus dem Franz und stellen fest, dass weder die ausgewachsenen noch die Baby-Guinness Schäden an unserem Augenlicht verursachten, es sei denn, der Himmel wäre trüb und grau. Wir sehen nämlich nur blau, nichts als blau bei 14 °C. So verheerend können die paar Schwarzbiere nicht gewirkt haben, dass wir so irregingen. Das Frühstück mundet auch wie gewohnt, also…  

In einem kleinen Supermarkt um die Ecke versuchen wir, noch ein paar Einkäufe zu tätigen, aber das Angebot matched nicht einmal annähernd mit unserem Bedarf, dann muss das eben warten.  

Um 10:55 Uhr verlassen wir Baile an Tí Mhóir, das „Große Haus", wie Baltimore auf Irisch heißt. Inzwischen ist es schon trüb, bewölkt und windig, eine Wetterlage, die unserem Tagesziel überhaupt nicht entgegenkommt. 

Eigentlich wollten wir noch einen kleinen Stopp in dem malerischen Örtchen Schull einlegen, aber dort ist heute Markttag und für den dicken Franz nirgendwo eine Lücke, wo er sich hineindrücken könnte. Da hilft noch nicht einmal der sprichwörtliche Mut zur Lücke, bestenfalls die Erkenntnis, dass es eben jenen Mut braucht, um Abstriche an den Plänen nicht persönlich zu nehmen.  

Keine Platzprobleme haben wir wenige Minuten später, als wir einen Stopp an der Toormore Bay einlegen, um die Wedge Tomb von Altar'', direkt über dem Atlantik liegend, zu besichtigen [N 51° 30' 50,57'' W 009° 38' 37,99]. Es handelt sich dabei um ein Megalithgrab, das auf 3000 bis 2000 v. Chr. datiert wird, erst 1989 ausgegraben wurde und heute ein National Monument Irlands ist. Hier können wir eines dieser alten Gräber besichtigen, das später noch von Priestern als Altar benutzt wurde und von denen es in Irland sehr viele gibt. Dieses liegt jedoch direkt neben der R 591 und ist deshalb besonders gut zugänglich.  

Wir fahren weiter in den äußersten Südwesten Irlands und bleiben um 12:30 Uhr an einer atemberaubenden Bucht, der Barley Cove, hängen. Kein Mensch auf diesem Strand, außer, gleich nachdem wir die Bremse reingehauen haben, eine Menschin mit zwei Hündinnen, die es nicht glauben können, auf diesem exklusiven Plätzchen ganz allein herumtoben zu dürfen. Der dazugehörige Mensch schont sich und pflegt seinen Männerschnupfen. Eine Stunde genehmigen sie sich einen zweiten Morgenspaziergang, bis sie bereit sind, die Fahrt fortzusetzen, mit smaragd- und azurglühenden Augen.  

Und diese Fahrt wird von Kilometer zu Kilometer mehr zum irischen Traum des Bairischen Blues. Küsten- und Strandlandschaften, die unter den nun wieder leuchtenden Wetterbedingungen in Weiß und Blau und Smaragd das Auge blenden, und dann wieder, im Hinterland weite grüne Hügellandschaften mit prall strotzender Vegetation, Passagen durch einschnürende, finstere Baumtunnels, dass wir das Gefühl haben, die Köpfe einziehen zu müssen und Seen und Moore und Schafe. Mein lieber Herr Schöpfer, du kannst nur ein Ire sein oder einfach nur irre.  

Der Chauffeur vergisst völlig, dass er seinen Franz auf teilweise hautengen Sträßchen bewegt, so bewegt ist er. Er nimmt es noch nicht einmal den berüchtigten und allüberall in Irland schlecht beleumundeten Dubliner SUV-Blondinen übel, dass sie nie ans Äußerste zu gehen bereit sind, wenn sie seinem Franz ins Auge blicken. Man schmiegt sich aneinander vorbei, der Franz mehr als die SUVinchen.  

Aber das Wetter macht wieder zu, genug gesehen, denkt sich wohl der gehässige Wettermalefiz. Doch kurz vor dem Südwestzipfel, reißt er die Stores noch einmal auf und präsentiert uns weit draußen im wässrigen Dunst den Fastnet Rock mit seinem Leuchtturm.  

Fastnet Rock, da könnte den Älteren unter uns eventuell ein Gedanke durch die Grauen Zellen zucken; da war doch was. Was war denn da? Die Antwort: Die größte Katastrophe des Yachtsports bis zum heutigen Tag.  

Das Fastnet Race, bis 1999 Abschlussregatta des Admiral's Cups, geht über 608 Seemeilen, startet im Solent vor Cowes, passiert Land's End und umrundet als Wendemarke den Fastnet Rock. Dann geht es zurück, um die Scilly-Inseln herum und endet in Plymouth. Das Rennen geht über mehrere Tage und ist für Flauten aber auch extreme Wetterlagen berüchtigt.

In der Nacht vom 13. auf den 14. August 1979 schlug ein nicht vorhergesagter mörderischer Orkan zu. Wir befinden uns noch in einer Zeit, als es keine Supercomputer gab, die die höchst komplexen Abläufe des Wettergeschehens sehr präzise modellieren konnten, sondern in einer Zeit, in der Wettervorhersagen etwa so präzise wie Kaffeesatzlesen war. Und so gerieten 2700 Männer und Frauen auf 303 Schiffen kurz vor dem Fastnet Rock in die Fänge dieses Orkans, die meisten von ihnen Amateur- und Freizeitsegler, nur 57 waren Teilnehmer des Admiral' Cups. In dieser Nacht kenterten 75 Yachten durch, 24 wurden aufgegeben, nur 5 sanken letztlich. Aber 19 Menschen verloren ihr Leben. Sie alle waren Amateure, die glaubten, auf Rettungsinseln sicherer zu sein.  

Seglern in aller Welt wurde mit dieser Katastrophe am Fastnet Rock wieder einmal die Warnung vor Augen geführt, niemals das Schiff zu verlassen, solange es nicht sinkt oder unrettbar brennt. Die Profis hatten sich an diesen seemännischen Lehrsatz gehalten und alle überlebt. Dem Chronisten ist dieses Nightmare der Irischen See immer in Erinnerung geblieben, und nun steht er da draußen, der mörderische Fels, mit seinem Leuchtturm und kann gar nichts dafür, dass er so schlecht beleumundet ist. Vielleicht zieht auch deswegen der Wettermalefiz die Vorhänge wieder zu, genug gesehen, genug sinniert, weiterziehen.  

Um 13:50 Uhr erreichen wir an der Mizen Head Signalstation den südwestlichsten Punkt Irlands. Es ist bei 17 °C fast wolkenlos, aber sehr, sehr windig [N 51° 27' 09,5'' W 009° 48' 29,2'']. Vor der Signalstation weitet sich ein sehr geräumiger Parkplatz, auf dem wir es uns für heute gemütlich machen.  

Mizen Head ist der südlichste der vier Halbinseln, die den Südwesten Irlands prägen und gehört zur Grafschaft Cork. Die Signalstation selbst liegt auf einer vorgelagerten Klippe, zu der man über eine stählerne Brücke gelangen kann. Hier draußen machte auch Ende des 19. Jh. Guglielmo Marconi, einer der Entwickler der drahtlosen Funkübertragung, einige seiner Tests zur Nachrichtenübermittlung auf Schiffe.  

Um 14:15 Uhr nehmen wir die Mädels an die langen Leinen und spazieren hinüber zur Signalstation und dem Leuchtturm. Der Eintritt auf das Gelände kostet 7,50 € oder für Endzeitberechtigte 6 €. Malerisch ist es hier und irgendwie ausgesprochen pittoresk. In den gurgelnden Gumpen und den Felsspalten unter uns tobt der Atlantik und zeigt mit kleinen Fingerspielchen, was er draufhat, wenn er einmal schlecht gelaunt ist. Dann würde der Chronist auf die Überquerung des kleinen Sunds ohne Verlust seines Ansehens verzichten. Schon heute bläst es ihm zu sehr, die Wolken und Sprühwasser ziehen durch die Klamotten, es ist garstig. Auch die Mädels sind von dieser Sorte Leinenspaziergang nicht begeistert und zeigen uns deutlich an, dass sie sich jetzt lieber ins warme Bett legen würden. Dem stimmt der Chronist vorbehaltlos zu. Männerschnupfen wird man unter diesen Umständen jedenfalls nicht los.  

Um 15:15 Uhr sind wir wieder beim Franz, trinken Kaffee, und fragen uns, was Menschen bewegt, in dieser ausgesetzten Wüstenei arbeiten und die meiste Zeit ihres Lebens verbringen zu wollen. An hellen Tagen könnte sich das sogar der Chronist gut vorstellen. Aber wie oft sind die Tage hier schon hell?  

Doch auch wir werden immer wieder mit solchen hellen Momenten belohnt, wenn der Wind die Wolken verbläst, Löcher in sie reißt und die Sonne einzelne Hänge der Hügel um uns herum in gleißend grünes Licht taucht, sie aufglühen lässt, während der Nachbarhang in abyssische Finsternis getaucht ist. Dann tanzen Satyrn über die Felsen und Wiesen und pfeifen den Feen einen rasenden Jig. Es ist schaurig schön hier draußen, und mit jedem Fahrzeug, das den Parkplatz verlässt, wird es schöner.  

Wir machen uns Rigatoni al forno, die mit einsetzendem Regen und Sturm zu Rigatoni al inferno werden: Es schüttet wie aus Eimern, so schauerlich, dass sich sogar der Wind nicht mehr wohlfühlt und sich zurückzieht.  

Ring of Beara / Lauragh
Timoleague Abbey / Baltimore