Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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10 Minuten Lesezeit (2020 Worte)

Ring of Beara / Lauragh

Ring of Beara

Montag, 16. bis Mittwoch, 18.5.2022

Der Morgen ist blitzeblau, doch schon kurze Zeit später  ist er wie die Nacht wassertrüb und wir haben den Eindruck nicht am Mizen Head zu stehen, sondern in Wassertrübingen, wenn da nicht diese überwältigende Landschaft wäre, die sogar unter diesen Umständen den Sinnen den Atem raubt.  

Der Chronist meldet immer noch Männerschnupfen, beziehungsweise Männerhusten, besteht aber trotz seines miesen Heads auf ein angemessenes Frühstück am Mizen Head.  

Als wir um 10 Uhr losfahren, spielen die Wolken mit der Sonne bei 14 °C. Und es ist dampfig wie in einer Waschküche.  

Wir verlassen heute diesen südlichsten der vier Finger in Irlands Südwesten. Der nächste Finger im Norden ist die Beara-Halbinsel mit dem Ring of Beara, dann folgen die Kerry-Halbinsel mit dem Ring of Kerry und die Dingle-Halbinsel als nördlichster Finger. Die beiden letzten sind Aushängeschilder und Markenzeichen des irischen Südwestens; kein Irland-Tourist, der nicht, ob auf dem Fahrrad, mit dem PKW, dem Wohnmöbel oder im Touristenbus, diese beiden Attraktionen besichtigen muss. Da hat es die Beara-Halbinsel schlauer angestellt und sich nicht so sehr in den Vordergrund gedrängt; weniger beeindruckend ist sie dennoch nicht. Dorthin wollen wir heute.  

Auf dem Weg steuern wir um 11 Uhr im Hafen von Bantry einen gebührenpflichtigen Parkplatz an, auf den wir jedoch nicht fahren, sondern uns nur neben der Einfahrt kurz abstellen, um dort unsere Toilette zu leeren. Erleichtert fahren wir weiter.  

Um 11:15 Uhr erledigen wir dann bei SuperValu [N 51° 40' 53,9'' W 009° 27' 26,5''], was uns gestern in Baltimore nicht vergönnt war: Wir füllen unsere Lager.  

Eine Stunde später fahren wir weiter und fädeln uns auf den Ring of Beara, einer 140 km langen Panoramaküstenstraße, ein.  

Das Faszinierende an Irland ist, dass es offenbar in der Lage ist, immer noch einen neuen Akzent zu setzen, wenn man meint, es ginge nicht mehr. Schon die Fahrt nach Mizen Head hatte uns in einen Erlebnistaumel versetzt und heute taumeln wir noch mehr. 

Diese Fahrt ist ein Sondererlebnis. Es ist ein Armutszeugnis für einen Chronisten, wenn er einräumen muss, dass ihm die Worte fehlen, dass das, was ihn umgibt, eigentlich unbeschreiblich ist. Aber was soll er machen, wenn ihm nichts Besseres einfällt, als wieder einmal zu berichten, dass das Auge nach einer Kurve unvermittelt in einer tiefblauen Bucht versinkt und nicht mehr auftauchen will? Und wie viele schroffe Felsen, um die sich die Straße windet, haben wir schon gemeldet?  

Der Ring of Beara ist eine einzige emotionale und körperliche Qual, weil man als Chauffeur den Blick nicht von der Straße wenden sollte, es aber muss, unentwegt muss, sich nicht dagegen wehren kann. Man handelt sich mit dem Hin und Her der Kopfdrehungen fast ein Schleudertrauma ein. Ach, wie qualvoll kann wilde Schönheit sein! Die Straßen sind vielfach sehr eng, doch so berauschend schön und schön berauschend. Diese Felsformationen, diese Matten in den berühmten forty shades of green, diese Buchten und Wasserlöcher, dazwischen die von der Welt unbeeindruckten schwarzstrümpfigen Schafe, alles einfach nicht in Worte zu fassen. Wir schlagen deshalb allen, die sich mit der Feststellung, dass der Ring of Beara im Wortsinne unbeschreiblich schön ist, vor, selbst vorbeizuschauen.  

Ein besonderes Rauscherlebnis sind die Rhododendronwälder, die hier wachsen wie bei uns der Hollerbusch, meterhoch und voll im Saft. Die Straßenränder sind eingesäumt von unübersehbaren Iris-Feldern, die ihre Köpfe über die Farne hinausrecken. Auch dafür fehlen uns die Worte. Von 2 m. ü. M. treiben wir den Franz auf 138 m hoch und wieder hinunter und wieder hinauf. Insgesamt sammeln wir dabei 1167 Höhenmeter. Und jede Kurve, jede Wendung, jeder Blick hinauf und dann wieder hinunter ist ein Geschenk und offenbarter Sinnesrausch.  

Nur der Rhodo, so betörend er auch ist, macht Kummer. Rhododendron Ponticum ist ein höchst aggressiver Neophyt, der die einheimische Flora gnadenlos abwürgt. Vor allem die uralten Eichenbestände sind von ihm bedroht. Die Umweltverbände roden und reißen aus, was ihnen in die Finger gerät und hatten das Problem schon fast im Griff, bis sie von der Regierung, die das Problem offenbar nicht als solches erkannt hat, behindert und zurückgepfiffen wurden. So wuchert und gedeiht dieser herrlich rosa blühende Rhododendron landauf und landab, betört das Auge das Betrachters und killt die stillen Dulder im Hintergrund.  

Aber wir lernen noch mehr über die irische Fauna. Stichwort: Weißdorn. Wie wir bereits wissen, ist er nicht nur in England für alles Außerirdische zuständig, sondern auch in Irland weitverbreitet und ein mythisches Gewächs. Und wir wissen inzwischen ebenfalls, dass unter diesen Sträuchern die Feen wohnen, die man besser nicht stören sollte, weil die nicht so freundlich sind, wie sich das ein feenfremder Mitteleuropäer vielleicht denkt. Und das hat Folgen, etwa, wenn für den Straßenbau so eine Feenkolonie gerodet werden muss. Daran wagt sich kein Ire, dafür müssen ausländische Arbeiter herhalten, vielleicht, weil sich die Feen an diesen nicht vergreifen oder weil es egal ist, wenn sie die Filzläuse bekommen; ein Ire haut so einen Busch jedenfalls nicht ab.

Um 15:30 Uhr kommen wir in Lauragh, im Creveen Lodge & Camping Park an [N 51° 45' 19,2'' W 009° 45' 38,8'']. Es ist bewölkt bei 16 °C. Abgehoben und wolkenkuckucksmäßig , wie wir uns nach dieser Fahrt fühlen, wählen wir einen Kanzelplatz, herausragend und abgehoben eben. 24 € müssen wir dafür zahlen, die Dusche schlägt noch einmal mit 1,50 € zu Buche.  

Wir mixen uns einen Ankerschluck und lassen den Tag anschließend bei etwas Kaffee und Kuchen noch einmal Revue passieren. Die Erinnerung und der betörende und vielversprechende Blick hinüber zum Ring of Kerry beschert uns alles, was wir für heute noch benötigen; wenn die Seele prall ist, verspürt der Bauch keinen Mangel.  

Nur die Hunde bekommen natürlich noch ihren Auslauf, was schon wieder ein wenig von der guten Stimmung verzehrt, weil auch hier die Laufmöglichkeiten für Hunde spärlich sind. Ganz Irland besteht eigentlich nur aus Landschaft, aber man kommt nirgendwo drauf.  



Die Nacht fegt um unseren abgehobenen Stellplatz mit einem wie für uns gemachten Sturm. Wir fühlen uns wie Noah in seiner Arche auf dem Ararat, nur dass jener sich diese exponierte Stellung nicht selbst ausgesucht hat. So geht es dem Maßlosen, wenn die Vernunft dem Ausblick weichen muss, was dann meistens nichts mit Weitblick zu tun hat. Ein Segen ist, dass der Chronist noch abends Tisch und Stühle in die Garage räumte, sonst wären sie jetzt Kleinplastik und Kleinmetall. Die sorglose Reiseleiterin, ihrem ungebrochenen Weltvertrauen schutzlos ausgeliefert, hatte dies nicht für nötig befunden und den sorgenden Chronisten des unverbesserlichen Pessimismus' bezichtigt… Immerhin findet sie sich heute Morgen dazu bereit, Abbitte zu leisten.  

Und so beginnt dieser Dienstag mit einer kalten Dusche von oben und einem Seelenfußbad für den Chronisten. Um 10 Uhr messen wir 14 °C mit Wind.  

Auf unserem Programmzettel steht heute nichts als ruhen, Männerschnupfen kurieren, was unter diesen Bedingungen immer noch nicht erfolgversprechend ist.  

Wir lassen den Tag einfach laufen wie dieser den Regen. Immer wieder schüttet es wie aus Eimern und der Wind pfeift um unsere Arche. Die Dogwalkerin geht zweimal mit den Mädels raus und findet dabei immer eine Regenlücke. Als sie der Betreiberin des Platzes ihr Leid mit den prekären Spazierwegen klagt, zeichnet die ihr auf, wo sie mit den Hunden gut gehen kann: auf den Schafweiden. Die Iren, so sagt sie, dulden das, wenn die Hunde nicht jagen. Damit kommen wir klar. Und schon geht es ihr und uns sichtlich besser.  

Wenn man so auf sich selbst zurückgeworfen ist, genießt man das, was man hat. Das gilt auch für diesen Campingplatz, der ein wenig verhuscht ist, verkruschtelt und verwinkelt, aber irgendwie sehr liebenswert. Das Sanitär ist knapp bemessen, auch ein wenig schrullig und ebenso liebenswert wie der ganze verwuselte Rest. Tatsächlich fühlen wir uns wohl hier, wenn es nicht so wäre, würden wir es uns einreden, weil die Alternative bei diesem Wetter kaum verlockender wäre. Nein: wir fühlen uns wirklich wohl und haben kein Problem damit, noch einen Tag dranzuhängen.  

Ein wesentlicher Teil unseres Wohlgefühls ist auf die Mädels zurückzuführen, die mit den vier Border Collies der Besitzer ein schiedliches und friedliches Miteinander pflegen. Die vier bewegen sich in ihrem Zuhause, wie man das eben auf seinem Hoheitsgebiet tut, und unsere zwei haben nichts dagegen einzuwenden, obwohl sie gelegentlich schon der Meinung sind, dass nach längstens einem halben Tag die Hoheitsrechte an sie übergegangen sind. So aber leben wir sehr entspannt zusammen und gelegentlich begleitet auch einer der vier Gesellen unsere Spaziergängerinnen, was ohne Murren akzeptiert wird.  

Und so geht auch der Mittwoch nicht in die Ereignisstatistik des Bairischen Blues ein.  

Es stürmt, dass der Franz fast Flügel kriegt und versucht, sich mit ihrer Hilfe von der Empore zu stürzen. Es schüttet, dass man die Hand nicht vor den Augen sieht, und wir hoffen, dass die Notoperation von Ronda an der Antennenbasis den Wassermengen standhält. So geht es den ganzen Tag.  

Der Chronist pflegt seinen Männerhusten und die Reisenotizen, die Reisebegleiterin macht sich in zweiter Sache ebenfalls nützlich und stürzt sich mit den Mädels in den Regen, knapp bemessen, aber der Lage angemessen lang.  

Und dann begibt es sich zu blauer Stunde, dass sich der Himmel öffnet und der Herr den Wolken Einhalt gebietet, auf dass es Licht werde über dem Ring of Kerry. Und es ward Licht und der Ring of Kerry winkt zu uns herüber wie die Gailtalerin mit lockendem Hexenfinger. Kommt nur, kommt…  

Es ist 24 Uhr, windstill und klar. Das Thermometer zeigt 11 °C.  

Ring of Kerry / Kenmare
Mizen Head