Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

Schriftgröße: +
9 Minuten Lesezeit (1895 Worte)

Omey-Island / Kylemore Abbey / Leenaun

Kylemore Abbey

Donnerstag, 2.6.2022 

Wir sehen zu, dass wir weg kommen, was uns aber wieder einmal, trotz Müsli-Frühstück, nicht gelingt. Strafzahlung müssen wir aber trotzdem nicht leisten, also leisten wir für unsere Unterstellung Abbitte, obwohl die Nachsicht auch daran liegen könnte, dass wir gestriegelt und gekämmt längere Zeit vor der Ausfahrt herumlungern und noch mit verschiedenen Leuten plaudern, wodurch wir möglicherweise unsere Abreisebereitschaft ausreichend nachgewiesen haben.

Als wir um 11:35 Uhr schließlich den Öko-Kral Irlands verlassen, ist es bewölkt bei 15 °C. Nur vier Kilometer nordwestlich stoppen wir die Triebwerke unseres Franz wieder: Wir stehen an der Omey-Passage [N 53° 31' 25,1'' W 010° 08' 01,1''].  

Omey-Island ist eine fast quadratische Insel vor der Küste von Connemara, die man bei Niedrigwasser zu Fuß (oder per Auto) erreichen kann. Wer das möchte, muss sich vorher die nötigen Informationen holen, von wann bis wann das an dem jeweiligen Tag möglich ist. Das haben wir getan, unseren Zeitplan danach ausgerichtet und gehen jetzt mit den Mädels über den Sandstrand hinüber zur Insel.  

Trotz der Möglichkeit, die Insel zu Fuß zu erreichen, hat die fehlende Verkehrsverbindung dazu geführt, dass es dort kaum noch Bewohner gibt. Ende des vergangenen Jahrhunderts waren es wohl nur noch drei Haushalte, heute haben wir den Eindruck, dass es doch wieder mehr sind, möglicherweise handelt es sich dabei aber auch nur um Ferienhäuser.  

Einmal umrunden wir die Insel im Uhrzeigersinn, stapfen über Schafweiden, steigen über Zäune und durch Dünen und Sandbuhnen, die wie Bunker eines Golfplatzes überall verteilt sind. Die Mädels dürfen die meiste Zeit frei laufen, weil es der weite Blick über das Gelände zulässt. Überraschungen sind kaum zu erwarten. Am Ende summiert sich die Inselumrundung auf 5,5 Kilometer und 1 Stunde 45 Minuten.  

Trotz der Wolken, die nur wenig Sonne durchlassen, sind wir am Ende richtig aufgeheizt und die Haut brennt; das reflektierte Licht und der Seewind leisten ganze Arbeit. Dass wir in Irland noch einen Sonnenbrand bekommen, hätten wir auch nicht gedacht.  

Um 13:30 Uhr fahren wir weiter, was eine gewisse Überwindung kostet, weil die Mädels nach einer Reihe von Rollen in Schlick und Seetang stinken wie Seebären. Strandgut kann man das nicht mehr nennen, eher schon Strandschlecht, und schlecht könnte es einem bei der dicken Luft im Franz werden.  

Als wir um 14:15 Uhr und 25 km weiter im Landesinneren den nächsten Halt bei Kylemore Abbey [N 53° 33' 33;1'' W 009° 53' 23,7''] machen, sind wir richtig froh, an die frischwürzige Freiluft Connemaras zu kommen. Es ist bedeckt mit Aufhellungen bei 14 °C.  

Der erste Blick auf das Klosterschloss oder Schlosskloster spricht unmittelbar die romantischen Kitschrezeptoren an und löst einen Neuschwanstein-Reflex aus. Es fehlen zwar das Himmelsstreberhafte, das Auffahrende und die Zuckerbäckertürmchen von Neuschwanstein, und dennoch ist das Schloss ein steingewordenes Zitat der Romantik. Tatsächlich sind beide Bauwerke zur etwa gleichen Zeit entstanden; Baubeginn für Neuschwanstein war 1869, der von Kylemore 1867. Aber der Auslöser der Kylemore-Romantik war nicht die weltabgewandte Träumerei eines überforderten Menschen und Königs, sondern eine handfeste und innige Liebe.  

Wir schreiben das Jahr 1850, als Mitchell und Margaret Henry ihre Flitterwochen in Connemara verbrachten und in einem Häuschen, der Kylemore Lodge, übernachteten. Die gesamte Gegend hatte es ihnen so angetan, dass es sie Jahre später wieder dorthin zog. In solchen Fällen trifft es sich gut, wenn der eine Teil der Liebenden ein erfolgreicher Geschäftsmann, Arzt und Politiker und – dank eines satten Erbes – schwerreich ist. So einer kann es sich dann leisten, seiner Liebe ein Schloss bauen zu lassen. Und so entstand in den Jahren 1867 bis 1871 dieses romantische Schmuckstück, einschließlich viktorianischer Gärten, Parkanlagen und Spazierwegen.  

Vierzig Jahre lang entwickelte sich das Anwesen unter Mitchell Henry zum Nutzen der ganzen Region. Nach der großen irischen Hungersnot (1845 – 1849) gab er den Einheimischen Arbeit, Obdach und eine Schule für ihre Kinder. Und ein vorbildlicher und verehrter Herr blieb Henry auch nachdem seine geliebte Margarete plötzlich an den Folgen einer Ruhrerkrankung, die sie sich in Ägypten zugezogen hatte, 1874 verstarb. Für sie ließ er ein Mausoleum errichten, in dem 1910 auch er seine letzte Ruhe fand.  

Kylemore wurde schnell ein gesellschaftlicher Anziehungspunkt. Schon 1887 stattete Seine Königliche Hoheit Prinz Arthur, Duke of Connacht, das siebte Kind von Queen Victoria und Prinz Albert, Kylemore einen Besuch ab. 1903 kam gar der König selbst, Edward VII., in Begleitung seiner Tochter Prinzessin Victoria, und es gingen Gerüchte, Edward habe sich mit den Gedanken getragen, das Schloss zu kaufen, verwarf es jedoch, weil es ihm zu teuer war. Aber auch sonst traf sich die Crème der englischen und irischen Gesellschaft in Kylemore: Arthur Balfour etwa, der spätere Premierminister des Vereinigten Königsreichs. Lord und Lady Wilde, die Eltern des Schriftstellers Oscar Wilde, gehörten zu den Dauergästen des Hauses oder auch John Poyntz Spencer, der 5. Earl of Spencer, ein direkter Vorfahre der späteren Königin der Herzen, Lady Diana Spencer. Die Liste der Herrschaften, die sich in Kylemore trafen, ist lang und illuster. 

1903 verkaufte Mitchel Henry das Schloss und die Ländereien. Nach einigen Besitzwechseln erwarben 1920 die Benediktinerinnen von Ypern das Schloss für 45.000 £. Seither ist das Schloss ein Kloster. Die Nonnen begannen, das Schloss zu renovieren, die Gärten wieder in Schwung zu bringen, richteten eine internationale Internatsschule und eine lokale Mädchenschule ein und betrieben Landwirtschaft und ein Gästehaus, das 1959 durch einen Brand zerstört wurde. Wegen der schwindenden Nachfrage wurde zuletzt die Internationale Schule 2010 geschlossen, die Nonnen aber blieben, betreiben weiterhin Landwirtschaft und verkaufen selbst hergestellte Produkte.

und Gloria Summer
Ken Scamper

Wir zahlen 15 € und 12,50 € Eintritt in Schloss und Garten, weil sich die Nonnen eher einem himmlischen als einem ir(d)ischem Erbe verpflichtet fühlen, weshalb sie unserer Heritage-Mitgliedschaft kein Wohlwollen entgegenbringen. Mit dem Shuttle-Bus lassen wir uns zum eineinhalb Kilometer entfernt liegenden Walled Garden chauffieren, der ein optisches und gärtnerisches Schmuckstück und sehr sehenswert ist. Zurück am Schloss, sehen wir uns die fünf Räume an, die die Nonnen im viktorianischen Stil wieder erstehen ließen, die Eingangshalle, die innere Halle, den Umkleideraum, das mittlere Zimmer und das Esszimmer. Alle anderen Räume werden von den Nonnen bewohnt. Im Gegensatz zu manch anderem, was wir aus dem 19. Jh. schon zu Augen bekamen, stellt sich die benediktinische Aufbereitung als sehr geschmackssicher heraus; es wird höchste Zeit, auch mal etwas Positives über das Gottesvolk zu sagen.  

Anschließend spazieren wir noch durch die Parkanlagen, werfen einen Blick in das Mausoleum, in das man keinen Blick werfen kann, weil es zugemauert ist – und einen Stein über unsere Schultern und den „Bügeleisenstein". Mit dem hat es folgende Bewandtnis.  

Irland wird bekanntermaßen von einer Vielzahl zweifelhafter Wesen beherrscht, zickige Feen, tückische Elstern (Magpies) und schwurbelige Druiden, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Aber es treiben sich auch immer wieder Riesen herum, und auf zwei von ihnen geht die Sache mit dem „Bügeleisenstein" zurück. Riesen sind gelegentlich eifersüchtig, jähzornig oder nachtragend und verhalten sich wie zwei Nachbarn, die sich jeden Tag einen anderen Streich antun. Der Riese Cú Chulainn hatte seinen Wohnsitz auf einem Berg in jener Seite des Tals, an den Kylemore Abbey gebaut ist. Auf der gegenüberliegenden Talseite lebte der Riese Fionn McCool auf seinem Berg. Und weil die beiden sich wieder einmal von Herzen nicht ausstehen konnten, schleuderte Cú Chulainn einen stattlichen Felsen hinüber zu Fionn McCool. Doch ob ihm die Wut im Bauch zu viel Kraft entzog oder ob er sich in seinem Vorhaben schlicht übernommen hatte: Der Fels landet in einer kuriosen Flugbahn auf dem Kylemore-Gelände, wo er seither liegt. Seine Form ähnelt der eines alten Bügeleisens. Weil die Geschichte so spooky ist und wir in Irland sind, muss der verirrte Fels auch einen tieferen Sinn ergeben, weswegen er zu einem Wunschstein geworden ist. Wenn man sich mit dem Rücken zum Felsen stellt, dreimal einen Kieselstein über ihn wirft und sich dabei etwas wünscht, geht der Wunsch in Erfüllung. 

Klar, dass wir die Gelegenheit nicht auslassen und drei Steine rückwärts über das Bügeleisen werfen. Aber unsere Wünsche verraten wir nicht, nachfragen zwecklos.  

Gegen 16:30 Uhr verlassen wir Kylemore Abbey wieder, ein wegen ihrer wechselhaften Geschichte und Nutzung sehr empfehlenswerter Hingucker, obwohl es in Irland an Klöstern oder deren Restbeständen nicht mangelt. Wenn sich je ein Land als Pfaffenwinkel bezeichnen darf, dann sicher Irland; der bayerische „Pfaffenwinkel" nimmt sich dagegen geradezu erbärmlich aus.  

Eine Viertelstunde später stellen wir den Franz mitten in Lenaun auf dem Parkplatz ab [N 53° 35' 44,9'' W 009° 41' 44,0''], direkt am Ufer des Killary Fjords, dem einzigen Fjord Irlands.  

Hierher kommt man nicht wegen besonderer Sehenswürdigkeiten, sondern weil der Ort günstig am Weg liegt und sich am Fjord gut ruhen lässt. Interessant ist der Name des Orts, der früher noch Leenane oder Lenane war. Weil es in Irland jedoch mehrere Orte dieses Namens gibt, änderten die Behörden den Namen auf Leenaun, um Verwechslungen zu vermeiden. Die Einheimischen ficht das jedoch nicht an und leben weiterhin in Leenane, wie man auch auf allen Schildern lesen kann.  

Nur wenige Meter vom Parkplatz lockt Hamilton's Bar, ein typischer Pub mit freundlichem Personal, wie wir es eigentlich überall vorfanden. Um 19:30 Uhr finden wir dort einen Platz und fühlen uns sofort wohl. Der Chronist versucht sich wieder einmal an einem Seafood Chowder, der ebenso schmackhaft wie alle seiner Vorgänger ist. Die Reiseleiterin bekommt ihren ersten Irish Stew der Reise und ist begeistert, auch wenn es nichts anderes als ein Eintopf mit Lammfleisch ist, wenn auch ein sehr gelungener. Mit zwei Red Ale und zwei Guinness kommt uns der Abend auf 45 €. Die sind gut angelegt. 

Gegen 22 Uhr ist der Tag für uns vorüber. Es ist windig und wolkig bei nur 10 °C. Wir kuscheln uns in unsere Decken und lassen den Stew und den Chowder gegen den Schauder arbeiten. 



Achill Island / Ballycastle
Roundstone / Clifden