Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Killybegs

Fianna und Hedda am Strand von Killybegs

Pfingstsonntag, 5. / Pfingstmontag, 6.6.2022

Am 30. Januar 1972 schossen britische Soldaten in Derry in eine unangemeldete Bürgerrechtsdemonstration. Dabei starben 14 Menschen. Dieses Massaker ging als Bloody Sunday in die Geschichte und das irische Volksgedächtnis ein.  

Was hat das mit uns und dem Pfingstsonntag des Jahres 2022 zu tun? Nichts. Aber als die Reiseleiterin in einer Mischung aus Missmut und Freude die Blutstropfen zur Kenntnis nimmt, die Hedda in ihrem Bett hinterlassen hat, rumort sofort Sunday Bloody Sunday, der Song von U2, durch das halbwache Morgenhirn des Chronisten. Möglicherweise wäre er auf diese schräge Analogie nicht verfallen, wenn Hedda, wie es sich gehört hätte, vor etwa sechs Wochen läufig geworden wäre. Damals waren wir noch in Südengland, und der Bezug zum gerade mal 100 Kilometer entfernten Derry wäre wohl nicht aufgekommen. Wie dem auch sei, wir halten fest: Hedda ist seit heute läufig, sechs Wochen zu spät, weil die Lebenskünstlerin vor lauter Eindrücke keine Zeit für die Abwicklung hormoneller Zwangsläufigkeiten hatte. Nun, so scheint es, wurde sie von ihren Hormonen zwangsläufig gemacht. 

Heute Morgen macht sie bei ihrem langen Strandspaziergang schon mal die Burschen aufmerksam und rappelig, weshalb es bestimmt eine gute Idee ist, hier wieder zu verschwinden – um in den nächsten Tage den ganzen Norden Irlands in einen hormonellen Ausnahmezustand zu versetzen, Zumindest bei den lads.  

Um 11:15 Uhr verlassen wir diesen nicht attraktiven, aber praktischen Parkplatz am Dunmore Strand. Es hat 15 °C und ist fast wolkenlos.  

Die Reiseleiterin bleibt unermüdlich strandsüchtig und hoffnungsfroh, dass wir auch am Pfingstsonntag eines sehr langen Wochenendes an den Strandperlen der irischen Nordküste Aufnahme finden. Selig sind die Unverdrossenen. Unser Ziel ist der Mullaghmore Beach.  

Mit der N 59 müssen wir zuerst einen weiten Bogen nach Südosten um einen tiefen Meereseinschnitt fahren, bevor wir bei Ballysadar über die N 4 nordwärts nach Sligo kommen. Von dort geht es über die N 15 nach Norden und dann der Küste entlang nach Nordost.  

Um 12:20 Uhr sind wir nach 53 km am Mullaghmore Beach [N 54° 27' 46,0'' W 008° 27' 11,9''], der in Luftlinie gerade mal halb so weit entfernt gewesen wäre.  

Kein Zweifel: Vor uns liegt ein weiter, weißer Traumstrand. Das Problem: Das wussten viele andere vor uns auch. Der Strand, die Zufahrten und Parkplätze sind pickepackevoll. Wir finden mit Mühe ein Loch, in das wir den Franz parken können, aber als Stellplatz bis morgen ist er unbrauchbar. Was uns bleibt, ist die Möglichkeit, mit den Mädels spazieren zu gehen, allerdings bei diesem Betrieb nicht am Strand. Und einen langweiligen Spaziergang im Hinterland brauchen sie nicht, den hatten sie vor drei Stunden schon zu ihrer Zufriedenheit.  

Wir haken den Traumstrand mit Kaiserwetter ab und fahren gleich weiter. Auf der N 15 schlagen wir einen großen Bogen nach Osten um die Meeresbucht von Donegal herum. Um 13:00 Uhr kaufen wir in Donegal, der Hauptstadt des County Donegal, bei LIDL ein.  

Um 13:45 Uhr setzen wir dann unsere Fahrt auf der N 56 nach Westen fort. Kaum dass wir die Stadt verlassen haben, stehen an einer Straßenkreuzung einige junge Männer mit Eimerchen in den Händen und halten den Verkehr an. Auf unsere Frage, worum es denn gehe, halten sie uns einen Eimer unter die Nase und bitten um eine Spende für den lokalen Fußballverein. Wir fragen nicht, um welchen notleidenden Club es sich dabei handele, werfen ihnen vergnügt zwei Euro in den Eimer und fahren grüßend davon. Ist es nicht eine charmante Vorstellung, dass sich an allen Ausfallstraßen rund um München blau gekleidete Burschen und Mädels aufbauen und um ein Almosen für den notleidenden TSV 1860 betteln. Ob sie da wohl sehr lange stehen würden? In Irland ist so etwas anscheinend Gang und Gäbe. Wir haben jedenfalls unser Vergnügen daran.  

Die Reiseleiterin hat eingesehen, dass weitere Strandannäherungen wenig Erfolg und viel Frust im Gepäck hätten, deshalb steuern wir nun einen Campingplatz ohne touristischen Erwartungsdruck an, den Holiday Park in Killybegs.  

Wenn man von einem großen Volksfest rund um die Fischerei im Sommer absieht, kann bestenfalls der weltgrößte Webstuhl in der Donegal Carpet Factory das Interesse des Besuchers an Killybegs wecken. Auf ihm werden berühmte Teppiche nach persischen Mustern gewebt, die sich in der ganzen Welt großer Beliebtheit erfreuen.  

Die wirklichen Attraktionen der Stadt drehen sich alle um – Fisch. Killybegs ist der größte und ergiebigste Fischereihafen Irlands. Auf dem Weg zum Campingplatz kommt man am Hafen vorbei und ist beeindruckt von den Trawlern, die dort liegen. Das sind nicht die gewohnt gebrechlichen und rostverzehrten Schaluppen, die im Schlick der kleinen Fischereihäfen stecken. Hier trifft man auf Hochseefischerei der Premiumklasse. Das Hafenbecken führt immer mindestens 12 Meter Wassertiefe, was dazu führt, dass man dort auch nie weniger als 60 dieser mächtigen Fischfangmaschinen antrifft, die trotzdem noch weit von den japanischen und chinesischen Fischfabriken entfernt sind. Das sind die Schiffe, mit denen man die Nordsee bis an die Eisgrenze und darüber hinaus befischt, die auch den mörderischsten Stürmen die Stirn bieten können.  

Nur wenige hundert Meter nach dem Hafen stehen wir um 14:30 Uhr am Tor zum Killybegs Holiday Park [N 54° 37' 17,9'' W 008° 27' 10,4'']. Die Rezeption ist trotz des vielversprechenden Namens eine kleine Wellblechhütte, vor der der Betreiber mit seiner Frau den ganzen Tag, im Auto sitzend, auf Kundschaft warten. Der Empfang ist herzlich, Plätze gibt es genug. Welcome! 

Der Campingplatz ist auf mehreren steil angeordneten Terrassen angelegt. Der Betreiber empfiehlt uns gleich seinen besten Platz auf der ersten und obersten Terrasse. Wir könnten uns aber auch jeden anderen freien aussuchen. Wir nehmen die Empfehlung an und blicken wie einst Polykrates auf sein Samos hinunter auf die Donegal Bay und das stummelige Rotten Island Lighthouse, einen schnuckeligen, kleinen Leuchtturm zu unseren Füßen. Und dort drüben, jenseits der Bucht, können wir Mullaghmore Beach sehen und uns ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen.  

Die gesamte Anlage steht auf fester Erde und Kies, Grünes findet sich nur an den Hängen der Terrassen. Wir haben Wasser an der Parzelle, die Belegung unserer Terrasse ist überschaubar, die weiter unten liegenden sind noch sparsamer belegt. Die Sanitäranlagen in Containern sind allerdings auch überschaubar, aber sie sind sauber und gepflegt. Der Preis von 35 € ist allerdings kein Pappenstiel. Augenscheinlich haben wir, in jeder Hinsicht, schon wieder einen Volltreffer gelandet, und das am Pfingstsonntag. Chapeau, Reiseleiterin!  

Wir verbummeln den Nachmittag bei 18 °C und einem weiß-blauen Himmel und machen am frühen Abend einen Bummel mit den Mädels. Um 21 Uhr stapeln wir uns zwei dicke Burger, schlürfen ein (oder waren es zwei?) Guinness dazu und grüßen Pfingsten mit einem launigen: Quanta costa, Pentecoste?  

Unter den letzten Lichtstrahlen geht uns der Pfingstspruch nicht mehr aus den Köpfen: Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker, sie sollen endlich ihren Hintern in Bewegung bringen und auf Reisen gehen ...  

Über den Pfingstmontag bleibt nicht viel zu berichten.  

Einen solchen Morgen nennt man wohl einen Blauen Montag: nichts als tiefblauer Himmel über Killybegs und Donegal – und im Süden, wo sich die Dubliner und Engländer tummeln, schüttet es wie aus Eimern. So bleibt es auch den ganzen Tag über, nur gelegentlich trübt es sich ein wenig ein, bringt sich aber schnell wieder in Ordnung.  

Wir sitzen und sinnen, wir putzen und pflegen die Reisenotizen. Wir beobachten das Treiben der Segler und Fischerboote unter uns, schließen die Augen und begeben uns mit ihnen auf die Reise.  

Im Verlauf des Nachmittags leert sich der Platz und ist bald zur Hälfte leer, weil die Feiertagstouristen morgen wieder zur Arbeit müssen. Dafür kommen nun jene, die wie wir die Feiertage abgewettert haben, ein Paar aus Günzburg, eines aus Bad Tölz. Ab jetzt werden keine Traumfäden mehr in ferne Länder gesponnen, sondern Gesprächsfäden mit Erfahrungsaustausch geknüpft.  

Abends schmurgeln wir uns Hähnchenkeulen mit Gemüse im Omnia. Und morgen geht es weiter unter dem Motto: Omnia mea mecum porto …  

Slieve League / Malin Beg (Silver Strand)
Downpatrick Head / Dunmoran Strand