Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Glenveagh NP / Enniskillen

Glenveagh NP

Freitag, 10.6.2022

Dass nachts die Sonne nicht die Oberhand behält, hat sich in weiten Teilen der Menschheit herumgesprochen, was aber nicht heißen muss, dass deswegen gleich der Regen wieder das Regime übernehmen muss. Man könnte es auch weniger umständlich ausdrücken und sagen: Nachts wechseln sich Schauer und schwere Regenfälle ab. Der Sonne können wir diesbezüglich keinen Vorwurf machen, zumal sie sich schon vormittags wieder bemüht zeigt, uns zufriedenzustellen.  

Wir sehen demnach keinen Grund, in Meenaleck, dem Home of Clannad and Enya und Camping Sleepy Hollows noch länger abzuwettern. Um 11:15 Uhr machen wir uns bei windigen und bewölkten 14 °C auf den Weg in den Glenveagh Nationalpark. 

Nur wenige Kilometer halten wir uns auf der N 56 auf, bevor wir die R 251 in Richtung Osten nehmen. Und wieder einmal trägt uns der Franz durch das betörend schöne und wilde Hochland des irischen Nordens. Manchmal scheint es uns, als ob ganze Stücke des Voralpenlands hierher umgezogen wären, wenn die Berge um uns herum nicht so kahl und öde wären. Die Berggipfel müssen sich mit einer arktisch-alpinen Pflanzenwelt begnügen und darunter breiten sich graugrüne Matten aus, die im Tal in Moore übergehen. Der Wasserspiegel der tintig blauen Seen wird vom Wind zum Waschbrett geriffelt oder zu langen Schlieren geschnürt.  

Der König der Derryveagh Mountains ist der Mount Errigal, dessen 750 Meter hoher Kegel so ebenmäßig geformt ist, als ob er auf einer Töpferscheibe gedreht worden wäre. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man ihn auch für einen aus der „Gründerzeit" dieser Landschaft übergebliebenen Vulkan halten. Aber er besteht aus verschiedenen Quarzitgesteinen, die vor allem in der untergehenden Sonne vielfarbig aufglühen. Auf dieses Feuerwerk müssten wir heute allerdings lange warten.  

Kurz nach 12 Uhr kommen wir auf dem Besucherparkplatz des Glenveagh Nationalparks an [N 55° 03' 29,1'' W 007° 56' 17,7'']. Der Parkplatz liegt an der Nordspitze des gut fünf Kilometer langen Lough Beagh, an dessen Ostufer das Glenveagh Castle liegt, das wir besuchen wollen. In den Bergen am Westufer des Sees lebt eine der größten Rotwildpopulationen Irlands, vor allem aber gibt es Steinadler, die ab 2001 dort ausgewildert wurden, nachdem diese Art schon seit 1912 in Irland ausgestorben war.  

Mit den Mädels spazieren wir nun das Ostufer des Sees entlang zum Schloss, wobei wir unentwegt mit den Ferngläsern den Himmel nach den Golden Eagles absuchen, was aber bei den herrschenden Wetterverhältnissen so aussichtsreich ist wie die Hoffnung auf Sichtung Nackerter im Englischen Garten im Winter. Diese Greifvögel lieben es, wie ihre Verwandten, sich von der Thermik tragen zu lassen, doch von Thermik kann heute keine Rede sein. Durchs Tal fegen eine steife Brise und Fallwinde von den umliegenden Bergen: Flugpause für Steinadler.  

Immerhin haben wir um die 15 °C, die allerdings im Wind schaurig runterkühlen und auch von den gelegentlichen Sonnendurchbrüchen kaum kuschelig werden. Dafür sorgt der pfiffige Wind für Brüsseler Spitzen auf den riffeligen Wellen des Sees. Und während wir uns gegen den Wind stemmen, finden wir, dass manche Gegenden genau so ein Wetter brauchen, um authentisch zu sein.  

Den Mädels ist das Wetter sowieso völlig schnuppe, solange wir ihnen nicht das Baden verbieten. Allerdings sind sie wieder einmal dafür verantwortlich, dass wir nur zäh vorankommen, weil sie, in Ermangelung von Adlern und Rotwild, die gesamte Aufmerksamkeit anderer Wanderer auf sich ziehen. Wir haben längst aufgehört, die Lovelies und Amazings zu zählen, die ihnen gespendet werden, und die Schilderungen der Rasse Hovawart geht uns inzwischen schon so geschmeidig von den Lippen wie die strubbelnden Liebhaberhände durch ihr Fell. Hätten wir von Mick und seinem Micona-Zwinger Visitenkärtchen gehabt hätten, wären seine nächsten Würfe bereits heute ausverkauft.  

Aber wir kommen voran, trotz Wind und Hovawart-Freaks. Und schließlich erreichen wir das Schloss, das, wie einige Schlösser Irlands, keine feudale Geschichte vorweisen kann.  

Ende der 1850er Jahre kaufte der Landspekulant John George Adair (1823–1885) aus dem County Laois hier einige benachbarte Landparzellen, um eine lukrative Viehzucht aufzubauen. 1870 begann er mit dem Bau des Schlosses, der 1873 beendet wurde. Nach seinem Tod übernahm seine Frau Cornelia das Schloss, ließ es weiter ausbauen und den Garten anlegen. Nach ihrem Tod 1921 stand das Schloss leer und diente abwechselnd den Parteien des Irischen Bürgerkriegs als Stützpunkt. 1929 ging das Schloss an den Harvard-Professor Arthur Kingsley Porter und 1937 an Henry McIlhenny aus Philadelphia. In deren Zeit wurde es zum Künstler-Treff, deren prominenteste Vertreter wohl Yehudi Menuhin und Greta Garbo waren, die sich hier häufig aufhielten. 1975 verkaufte er die Ländereien an das Office of Public Works, das für die Pflege und Wartung historischer Stätten Irlands zuständig ist, um einen Nationalpark (heute rund 16,5 Hektar) zu gründen. 1981 schenkte er dann auch den Garten und das Schloss der Nationalparkverwaltung, die das Schloss 1986 der Öffentlichkeit zugänglich machte. 

Derzeit heißt das Schloss vermutlich Schloss, weil es geschlossen ist. Das wussten wir bereits aus dem Internet, aber Park und Garten können besichtigt werden. Für uns Alpenländler liegt der besondere Reiz von Parks und Gärten dieser Region in der enormen Vielfalt der Arten, die in diesem Klima üppig gedeihen und auf uns wie Exoten wirken; der Golfstrom macht es eben möglich. Tatsächlich sind es vor allem die Schlossanlagen, die uns begeistern, die Gartenanlagen können mit denen, die wir bisher gesehen haben, nicht mithalten, obwohl Mitte Juni eigentlich alles für ein Gartenfeuerwerk sprechen müsste. Aber möglicherweise zünden Feuerwerke nicht richtig, wenn es regnet. Und genau der setzt recht heftig ein, als wir an Schloss und Garten ankommen. Wir müssen in der Eingangshalle abwettern und die Mädels weitere Streichelorgien über sich ergehen lassen. Danach verspüren wir keine große Lust mehr, tiefer in die Gartenwelt von Glenveagh einzutauchen, sondern machen uns wieder auf die Socken.  

Auch auf dem Rückweg werden wir immer wieder von einem kleinen Duschregen überrascht, dem allerdings auch wärmender Sonnenschein folgt. Bei uns nennt man so etwas Aprilwetter. In Irland kennt man kein anderes. Am unangenehmsten ist jedoch der teilweise stramme Rückenwind, der uns dem Franz entgegenschiebt, als wolle er uns schleunigst loswerden: Ab nach Hause, Touristenpack!  

Um 14:45 Uhr hat er es geschafft. Nach rund neun Kilometern sind wir wieder am Parkplatz und machen um 15:15 Uhr, nach einer kleinen Kaffeepause im Franz, Platz. Man will sich ja nicht aufdrängen.  

Es zieht uns nach Süden, nach Enniskillen – also über die Grenze nach Nordirland. Die Grenze erreichen wir nach etwa 50 Kilometern. Wer nach all dem Hickhack und den jahrelangen Verhandlungen geglaubt hat, dass man an diesem neuralgischen Punkt zwischen dem Europa-Irland und dem Brexit-UK durchgefilzt würde, sieht sich enttäuscht: Eine Grenze gibt es nicht! Boris, der Zausel, denkt nicht daran, die Warenströme zum eigenen Nachteil zu kontrollieren. Nur die veränderten Maßeinheiten künden vom Übertritt ins uneinige Königreich: Es gelten wieder Meilen statt Stundenkilometer und Yards statt Meter.  

Da es heute für einen Besuch der Stadt zu spät ist, beziehen wir um 17:45 Uhr Quartier im Riverside Marina & Caravan Park [N 54° 19' 45,9'' W 007° 39' 03,8''], nur zwei Kilometer südwestlich des Stadtzentrums am Ufer des kleinen Sillees River. Der Stellplatz ist groß und der Betreiber herzerfrischen britisch und freundlich. Wir fühlen uns sofort wohl. Für die Besucher stehen für beide Geschlechter drei Toiletten und Duschen der besonders geräumigen und luxuriösen Klasse zur Verfügung. Die Duschen kosten 1 £ für vier Minuten. Der Stellplatz kostet 16 £, Strom 4 £. Dafür ist alles picobello. Wasser gibt es an den Stellflächen und selbstverständlich auch eine tadellose Ver- und Entsorgung. Der Stellplatz ist ein echter Tipp, wenn man Enniskillen besuchen möchte. Nur für Hundespaziergänge bietet er wenig Möglichkeiten. Aber für eine Nacht können wir damit gut leben.  

Wir haben heute keine Pläne und Wünsche mehr. Regen wechselt sich mit der Sonne bei 17 °C ab. Die Werbeflyer der naheliegenden Lieferdienste von Schnellrestaurants, die uns vor allem Asien-Fastfood und Pizzen ans Herz legen, legen wir beiseite und begnügen uns mit einer strammen Brotzeit aus unseren reichhaltigen Bordvorräten. Mehr brauchen wir heute nicht mehr.  



Enniskillen / Westport
Glengesh Pass / Meenaleck