Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

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Fishguard / St. Davids

St. Davids

Donnerstag, 16. / Freitag 17.6.2022 

Heute Morgen auf dem Parkplatz lassen wir die Dinge gelassen auf uns zukommen. Wir haben in den vergangenen sechs Monaten mehr gesehen und erlebt als wir uns erträumt haten und können unserer Devise treu bleiben, nichts zu überstürzen und flexibel zu bleiben.

So gesehen, da wir keine Pläne mehr haben, könnten wir selbstverständlich auch die Franzennase gen Osten richten und fix nach Hause düsen, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu versäumen. Das müsste dann allerdings sehr fix gehen, was angesichts von rund 1.600 km, die vor uns liegen, nicht unter zwei Tagen zu schaffen wäre, selbst wenn wir richtig Gas gäben. Zudem wären noch eine Kanalunterquerung und mindestens eine längere Ruhepause einzukalkulieren.  

An einem Tag wäre es also nicht zu schaffen, was aber aufgrund einiger widriger Umstände nötig wäre. Einer dieser Umstände ist der heutige Fronleichnamstag in allen deutschen Bundesländern, die auf der Strecke liegen, was ein langes Wochenende und sehr viel Verkehr bedeutet. Als ob das nicht schon genug wäre, gehen in Baden-Württemberg und Bayern am kommenden Wochenende die Pfingstferien zu Ende, was noch mehr Verkehr und Staus erwarten lässt (wir gehören nicht zu jenen, die sich alle Jahre wieder über die völlig unerwarteten Staus wundern). Und schließlich sind für die nächsten Tage sehr hochsommerliche Temperaturen in Deutschland angesagt, was unsere Wind und Schauer sozialisierten Körper in einen nicht zu vertretenden Stress versetzen müsste, einen Stress, den wir gerade nach so viel Stressfreiheit und Gelassenheit unbedingt vermeiden wollen. Kurz: Wir denken nicht daran, sofort nach Hause durchzustarten, sondern geben die Devise aus: abwettern und abwarten.  

Während wir planen, keinen Plan zu haben, die Mädels ausführen und frühstücken, leert sich der Parkplatz. Die LKW haben schon ab 5 Uhr ihre Aggregate an- und uns aus dem Bett geworfen und sind fast alle weg. Jetzt wäre wieder genügend Platz für zwei Dutzend raumgreifende Italiener. Aber die kommen bestimmt erst nachmittags, nach der Siesta. 

Wir erinnern uns an die sehr liebenswerte Begegnung mit dem Pärchen beim Sonnenuntergang auf The Lizard, die uns dringend St. Davids ans Herz legten. Warum denn nicht? So könnten wir wenigstens einen einzigen Stopp in Wales in unserem Reisejournal verbuchen. Super Idee, zumal es dort hin nur ein Katzensprung ist.  

Um 11 Uhr fahren wir bei 18 °C und weiß-blauem Himmel los. Eine starke halbe Stunde machen wir in St. Davids vor dem CK Foodstore halt, um noch Kleinigkeiten einzukaufen. Wie üblich ziehen sich auch diese Kleinigkeiten in die Länge, sodass wir erst um 12:15 Uhr wieder rollen.  

Um 12:25 Uhr rollt der Franz dann aus und stoppt vor den Toren des Pencarnan Farm Camping & Caravan Park von St. Davids [N 51° 53' 04,2'' W 005° 18' 13,4'']. Schon der erste Blick übers Gelände lässt keine Sorge aufkommen, dass wir keinen Platz bekämen. Die Anlage ist riesengroß und fast leer, der Untergrund ist kurz geschorene Wiese. Wir werden gebeten, uns im weiter unten liegenden Bereich der Anlage einen Platz zu suchen, weil die wenigen 16 Ah-Strom-Sockets für die Liner im oberen Bereich stehen. Wir begnügen uns mit 4 Ah und sind damit weit genug ab vom Schuss.  

Ein zweiter Blick offenbart uns nichts als Meer, Buchten, Strände und Dünen. Eine bessere Wahl hätten wir uns für den vermutlich letzten Durchhänger (bei uns weiß man ja nie), nicht treffen können, bevor wir den Deckel auf die Fahrt ins Blaue machen.

Auch andere fanden offenbar, dass dieser Campingplatz einige Qualitäten hat, weshalb er – von wem auch immer – als „The Perfect Pitch" in Pembrokeshire ausgezeichnet wurde. Einen Biergarten mit Holzgarnituren gibt es auch, wo man sich zusammensetzen und ab 17 Uhr Pizza bekommen kann. An Getränken fehlt es logischerweise auch nicht. Und tatsächlich finden sich hier später vor allem die Familien mit Kindern zusammen, die alle etwas näher zur Bucht und zum Strand logieren. 

Wir lassen, soweit es moralisch vertretbar ist, erst einmal die Hüllen fallen und geben uns der warmen Sonne und der salzigen Luft hin. Dann folgt die Kaffeepause mit Gebäck aus dem Foodstore. Die Mädels kommen auch noch zu ihrem Recht und der Chauffeur anschließend wieder zu seinem Sandkasten im Franz. Kein Problem, ist ja bald vorbei.  

Die Völkerverständigung auf der Pizza-Piazza verkneifen wir uns und grillen uns abends stattdessen Lammteilchen, die wir uns mit Tomaten und Mozzarella servieren.  

Zum Schluss des Tages zelebrieren wir endlich eine Guinness-Verkostung, die wir uns schon einige Tage vorgenommen hatten. Zum Verständnis, weil wir bekanntlich schon viele solcher Verkostungen hinter uns gebracht haben, müssen wir eine kleine Erläuterung liefern. Wenn man im Supermarkt Guinness kauft, bekommt man meistens Guinnes Draught Stout, jenes in der schwarzen Dose und dem Shaker-Ball innen. Bei Mick, nach der Hovawart-Show, haben wir erstmals bewusst ein Guinness Original Extra Stout mit einem weißen, ovalen Label auf der schwarzen Dose bekommen. Das hat dem Chronisten sehr fein gemundet, war aber in der Folge in den Supermärkten nur gelegentlich zu bekommen. Aber in unserem Lager lagern heute beide Sorten, und die wollen wir nun gegeneinander antreten lassen. Abwechselnd nippen wir am einen, dann am anderen und wieder zurück. Nach nur wenigen Lippenerkenntnissen hat sich die Reiseleiterin entschieden und schiebt beide Dosen ihrem Chauffeur hinüber, der das Angebot gerne annimmt. Und das Ergebnis? The winner is: Original und Draught! Die Dame bevorzugt das schäumig schmeichelnde Draught, der Chronist das geradlinigere Original. Beide haben 4,2 % und eigenen sich demnach gleichermaßen als sanfte Einschlafhilfe. Doch dafür werden sie heute nicht gebraucht. Unser sanftes Ruhekissen ist ein rundum wohliges Gewissen. 



Was ist denn mit diesem Freitag los? Einen ganztägig blauen Freitag hat der WetterDepp angekündigt und jetzt strahlt er zwar noch, der Freitag (der Depp möglicherweise auch), aber sichtlich nicht mehr lange. Dazu fegt ein frisches Gebläse über diesen perfekten Pitch von Pembrokeshire, das die 17 °C ziemlich kalt erscheinen lässt. Der Chronist ist seit jeher überzeugt: Wer glaubt, endet unglücklich. Vor allem, wenn man Deppen glaubt.  

Den Mädels sind meteorologische Verstimmungen solcher Art völlig fremd; sie nehmen Wetter, wie es ihnen präsentiert wird. Solange der Spaziergang lange ist, bringt sie fast nichts aus ihrem Gleichgewicht. 

Ganz anders liegt die Sache beim hormonellen Gleichgewicht, das periodisch sein Gleichmaß verliert und deshalb besonders ins Gewicht fällt. So außer jeder Contenance ist derzeit Hedda, die knietief in der Standhitze watet. Kein Kerl weit und breit, den sie nicht anbaggert und anfleht, sie zu beglücken. Sie ist laufend auf heißer Spur und muss fast ständig an der langen Leine geführt werden. So ratzig war sie noch nie! Aber daran kann man sehen, was eine einzige beglückende Umarmung aus einem sittsamen Mädchen machen kann. Das hier hat mit seinem Springen der Landoley getan…  

Das schöne Wetter bleibt heute ein Versprechen. Es wird und bleibt ganztägig trüb. Somit widmen wir diesen Freitag der inneren Einkehr und der Notizenverarbeitung. Und damit die Mädels nicht mit einem verfilzten irischen Schaffell nach Hause kommen, steht auch noch eine ausgiebige Fellpflege auf dem Programm. Kaum zu glauben, dass aus einem einzigen Hund eine Kopfkissenfüllung Fell gestriegelt werden kann. Aber klar: In einem irischen Sommer sollte man nicht auf einen dichten Pelz verzichten.  

Während wir uns abends Spaghetti mit Lachs-Sahne-Soße draußen schmecken lassen, zieht immer mehr Nebel vom Meer her und hüllt uns wattig ein. Jetzt helfen keine Schaffelle und keine wärmenden Plaids mehr; wir müssen rein. Dieser Nebel treibt uns endgültig nach Hause und macht uns den Abschied leichter.  

Der französische Philosoph Michel de Montaigne machte sich im 16. Jh. warme Gedanken übers Abschiednehmen und formulierte: „Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Dingen, die uns lieb sind, immer ein wenig wärmer". Das gilt uneingeschränkt für uns – wenn halt die Dinge, die uns lieb geworden sind, nicht gerade ein wenig kälter würden…  

Wye (Ashford)
Enniscorthy / Fishguard