Der Bairische Blues fährt ins Blaue - und ist dann mal weg

Schriftgröße: +
4 Minuten Lesezeit (735 Worte)

Wye (Ashford)

The Flying Horse in Wye

Samstag, 18.6.2022

Der Nebel hat sich aufgelöst, dafür hängen nun schwere Wolken über St. Davids. Es ist ungemütlich.  

Aus der Gemütsruhe werden einige der wenigen Nachbarn auch deswegen gebracht, weil heute Morgen kein Strom aus der Steckdose kommt. Uns stört das wenig, weil wir einen zuverlässigen Wechselwichtel haben, der uns versorgt. Der Ausfall scheint mehrere Stromkreise und Stromsäulen zu betreffen, jedenfalls sieht man überall nach Hilfe suchende Kaffeedurstige herumschleichen; ohne Ergebnis. Die Stromspender sind verschlossen und um 7:30 Uhr ist noch niemand vom Personal verfügbar. Die Rezeption ist erst ab 9 Uhr besetzt.  

Wir lassen uns davon nicht aus der Ruhe bringen. Zuerst dürfen sich die Mädels die schlafsteifen Beine ausschütteln, allerdings nur eine gute halbe Stunde; wir haben ja heute noch einiges vor. Dann gibt es für uns ein knappes Müslifrühstück. Der Franz wird auch noch ver- und entsorgt und dann kann es losgehen. Um 9:15 Uhr verlassen wir den auch ohne Strom perfektesten Pitch von Pembrokeshire. Es hat 12 °C und der Himmel trägt dicke, schwere Wassersäcke.  

Um 9:45 Uhr tanken wir den Franz voll, heute für „nur" 1,93.9 £ pro Liter.  

Ostwärts weht uns der Wind, und der Regen macht aus dem Franz ein Hovercraft. Vorbei an Cardiff und Bristol nähern wir uns Kilometer um Kilometer London. Irgendwann vermeldet Franz bewältigte 77.000 Kilometer auf dem Tacho und wir erinnern uns, dass wir noch kurz vor Burgos die 70.000 feierten und uns fragten, ob wir gar noch die 80.000 schaffen würden. Darauf haben wir heute eine Antwort: Nein, das schaffen wir definitiv nicht mehr.  

Kurz bevor wir auf die M 3 fahren wollten, erfahren wir, dass wir auf ihr mit einem mindestens halbstündigen Stau zu rechnen hätten. Also machen wir eine Biege und schleichen uns durchs nicht ganz reizlose Hinterland, das allerdings nichts anderes als der riesige Speckgürtel Londons ist. Hinter dem Stau fahren wir dann auf die M 25 und haben das Gröbste erfolgreich umschifft. 

Um 16:30 Uhr sind wir dann in Wye (Ashford), rund 80 km südöstlich von London. Jetzt fühlen wir uns schon fast wie zuhause, denn vor kurzem haben wir den Nullmeridian überschritten und befinden uns wieder in der östlichen Hemisphäre. Von hier aus ist es morgen nur noch ein Hüpfer zum Shuttle in Folkstone. Wir stellen uns auf den Rasenparkplatz des Flying Horse Inn [N 51° 11' 23,8'' E 000° 53' 36''] und melden uns für ein gepflegtes Dinner an. Der Himmel ist genauso bewölkt wie er heute den ganzen Tag war, bringt aber immerhin 17 °C aufs Thermometer – und es regnet nicht.  

Bevor wir uns dem vorerst letzten britischen Abendmahl hingeben, müssen die Hunde raus. Nach nur wenigen Schritten sind wir wieder einmal mitten in den Getreidefeldern, in die Spazierwege gemäht sind, wie wir es hierzulande überall kennen und schätzen gelernt haben. 45 Minuten sind auch nach einem langen Fahrtag genug, zumal solche Spazierwege für Hunde nicht übermäßig erlebnisreich sind. Am Strand wären das damit sicherlich nicht zufrieden. So aber hatten sie ihre notwendige Bewegung. Jetzt endlich kommt auch der Chauffeur zu seinem Recht und dem verdienten Fahrerschluck. Der letzte in der Hierarchie dürstet meistens etwas länger.  

Um 18:30 Uhr lassen wir uns im Flying Horse nieder, um noch ein letztes Mal der so schlecht beleumundeten britischen Küche die Ehre zu erweisen. Der Chronist bescheidet sich bei der Vorspeise mit einer dicken Suppe mit Muschelfleisch, die Reiseleiterin bestellt Baked Potatoes mit Pulled Pork, alles flächendeckend mit Käse überbacken. An anderen Tagen als diesem, hätte das bereits gereicht. Doch heute folgt für die Dame ein Muscheltopf und für den Herrn eine asiatische Entenbrust mit Nudeln. Endlich satt? Und wie! Und geschmeckt hat es auch. Aber hinterher ein Eton Mess für uns zusammen geht schon noch. Bier gibt es auch dazu und Wein, alles zusammen für 65 £.  

Mit dieser Kalorienlast kehren wir bereits um 20:30 Uhr zurück in den Franz. Es ist wieder einmal sehr windig und sehr stark bewölkt. Der Chronist kann keinen Wind mehr ertragen und freut sich auf die Hitze zuhause. Schließlich haben wir Sommer, also: richtigen Sommer. Und danach sehnen wir uns jetzt bei allem Abschiedsschmerz.  



Escalle
Fishguard / St. Davids